Prof. Dr. Annette Edenhofer
Katholische Hochschule für Sozialwesen, Berlin
Dreifaltigkeitssonntag, Predigt zu Ex 34, 4b-9,2 und zu Joh 3,16-18
Der barmherzige Gott & die Welt der Ungleichheit – Schöpfungstheologie & Evolutionsbiologie
Jahwe ist ein barmherzig, gnädiger Gott. Sie ist langmütig, reich an Huld und Treue. Er nimmt die Schuld weg, aber sie bestraft den Sünder bis in 3. und 4. Generation. Ex 34,6 ist das klassische Credo Israels. Barmherzig, althochdt.: barm, hebr.: rahum, wörtl.: Gebärmutter, also schöpferischer Raum; langmütig: resilient; reich an Huld: mit Interesse am Unterstützen; treu: beziehungsaffin gerade im Konflikt. Und die Strafe, doch schwarze Pädagogik? Die dramatische Theologie liest Strafandrohungen Gottes als Warnung vor kontraproduktivem Verhalten. Damals wie heute überstrapziert Gewalt humanökologische Resilienz: Kriege bringen Israel ins Exil. Gefährlicher Klimawndel heute: Die Schöpfung, Gaia, ächzst, wir gehen über Grenzen. Kardinal Jean Marie Lustiger, Romano Guardini, Papst Franziskus‘ Enzyklika Laudato Si sehen die Menschheit in der Pubertät, im Modus des Halbstarkseins, noch mit einem falschen Machtideal vom Siegen anstatt vom ökosensiblen Kampf fürs gemeinsame Gute. Öko, griech.: oikos: dt.: Haus, entspricht dem Begriff barm, rahum, kokreativem Gehaltensein.
Nun zur Szenerie dieser Offenbarung von Gottes Barmherzigkeit: Versöhnung nach dem Goldnen Kalb mit Warnung vor Kontraproduktivität in Zukunft! Götzendienst will Gottheiten manipulieren, um die eigenen Geschicke kontrollierbar zu machen. Ein Schutzbedürfnis im Stress. Das Kalb ist eine beachtliche Leistung von Selbstwirksamkeit für Sicherheit. Das magische Objekt aber steht nicht für einen schöpferischen Akt, sd. für Misstrauen in die natürliche und in die soziale Umwelt. Der Wüstenweg ist zunehmend hart. Das Volk murrt, bereut seinen Exodus aus der Sklaverei. Das scheint Maslows Bedürfnsipyramide zu bestätigen: Israel vermisst die Fleischtöpfe Ägyptens, berichten die Vorläuferkapitel: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, konstatiert Brecht. Magische Kultpraktiken, wollen „Lebensmittel“ herabzwingen. Aber gerade in Härten geht es nicht um mehr Aneignungsgewalt. Es geht um Mitmenschlichkeit. Beziehung – statt Manipulation oder Repression. Ein bis heute nicht realisiertes Lernprogramm in der Zweidrittelwelt der Ungleichheit.
Wollen wir oder können wir nicht? Als Erben des Tohuwabohu sind wir entschuldigt und doch in der Pflicht!
Der Ökotraum vom Paradies eröffnet die Schrift. Das Paradies ist das Erste, das Grundlegende, nicht zuerst am Zeitstrahl. In der Zeit hat es das Paradies nie gegeben. Das zeitlich Erste ist das Tohuwabohu der übermächtig erlebten Naturgewalten. Gewalt wird mit Gewalt pariert; nicht erfolglos. Wer siegt, sagt an. Das Werden der ganzen Schöpfung spielt in stressigen Rahmenbedingungen. Der biblische Befund von Tohuwabohu und Paradiesgarten entspricht jüngsten evbiol. Forschungsergebnissen: Fight, Flight, Freeze, diese 3 Fs sind unsere stammesgeschichtliche Erinnerung, eingeschrieben in unsere Zellen, sie herrschen in und und über uns. Deshalb sind wir unter Druck anfällig fürs Fighten, bereits präventiv: Angriff ist die beste Vetreidigung! Wir sind anfällig fürs Flüchten, anstatt zivilcouragiert für eigene und die Bedürfnisse anderer einzustehen. Freeze, wir frieren ein, wir sind starr vor Schreck, tauchen ab in der Masse, heulen mit den Wölfen, um nur ja selbst nicht Ziel zu werden. Die Geschichte von der Paradiesvertreibung ist die zeitlose Analyse der fatalen Dynamik von Kampf, Flucht und Starre. Die 3 Fs wurzeln im Gefühl, zu kurz zu kommen, im Misstrauen. Deshalb der fatale Apfelklau, anstatt zu warten, bis Gott seinen Geschöpfen abends den Apfel veredelt zum Kompott reicht, wie Gott es lt. des Reiligionsphilosphen Jörg Splett, vorgehabt hatte. Nicht-warten-Können ist Misstrauen, ob noch was kommt. Misstrauen aber gute Gründe: Der Überlebenskampf der Frühgeschichte entspricht der Gotteserfahrung des gefräßigen Molochs. Das unterbrochene Isaaksopfer erzählt den Lern-Quantensprung im Zeitraffer: Abraham erkennt im letzten Moment durch die Intervention des Engels, dass das Opfer seines Sohnes nicht gottgefällig sein kann. Menschenopferkulte wollen die Gefräßigkeit des Moloch durch vorauseilend dargebrachte Opfer kontollieren, um schlimmere Katastrophen zu verhindern: Überflutungen, Seuchen, Hungersnöte, Kriege, Gefangenschaften. Karen Amstrong und René Girards Forschungen zeigen plausibel: Erst im abnehmenden Bann der übermächtigen Natur durch erfolgreiche Technisierung in der Bronzezeit deesakaliert auch die religiöse Praxis: Menschenopfer – Tieropfer – Liebesfähigkeit.
Aber, sagt die aktuelle evbiol. Forschung: Wir sind überhaupt noch da, weil noch sehr viel früher, vor zig 10 T Jahren ‚Kooperation‘ das stärkste Muster geworden ist, nachhaltiger als der Kampf ums Dasein. Die Evbiol. ist eine Option für Eu-charistie; wörtl:. Gute Gaben geben. Das ist die Basisdynamik für Nachhaltigkeit. Die Biologin Antje Boethius weist jüngst die Kooperation von Mikrobenpopulationen am Meeresgrund nach: Die Strategien entsprechen sozialem Caregiving: Zuerst geben! Theol.: Vom Teilen wird niemand arm. Der Stoff wird weniger, das Wohlwollen im Teilen ist das profunde Mehr, die vertrauenstiftende Maßnahme. Damit sei erzwungene Armut nicht idealisiert. Denn sie brutalsiert meistens. Weggerissenes Brot ist Kriegsgrund, sagt Papst Leo im 5.Jh., wohlwollend angebotenes ist ein Gleichnis des Himmels. Den nachhaltigeren Abzweig nehmen für langfristige Kooperation nehmen, vermeidet Fressen und Rache. Nur Selbstschutz mit Committment pro Deeskaltion ist erlaubt, das ist evbiol. Lernen. Der Engel Gottes unterbricht die Opfergewalt, heißt: Menschen entdecken den Gott zugeschrieben Rachefraß als ihre Gewaltprojektion – und wie gefährlich sie ist. Empirisch trifft zu: ausgeübte Gewaltakte kontaminiert die Zukunft, machen selbst gewaltbereiter und machen Feinde von morgen. Erbsünde, Gewaltinfekt bis in die 4. Generation.
Die Bibel ist eine Lernwerkstatt, die Kirchengeschichte, die Weltgeschichte ist die Fortsetzung: Exodus aus der Gewalt in den nachhaltigen Frieden. Gefährlichen Klimawandel ist kein Thema in den schwach thechnisierten biblischen Zeiten; Neid, Habsucht und Siegspiele aber sind zeitlose Lebensgefähder. Kriegsgottphantasien sind biblisch simultan präsent mit der Entdeckung des barmherzigen Gottes als Menschenrechtsanwalt: Ex 22, 20 Den Fremden sollst Du nicht ausbeuten, denn Ihr seid in Ägypten Fremde gewesen (Lev 19,34. Lev 19,20 spricht das Verbot von Kinderopfern aus, sonst verfolge ich Euch mit dem Schwert – als Kontraproduktivitätswarnung zu hören. Die Kette der Kooperationsnarrative sind Gottesknechstlieder, Hiob, Susanna im Bade. Direct action Narrative: Souveränität, die nicht ausbeutet, nicht wegsieht bei Unrecht, die ist nachhaltig stark. Nicht Siegspiele, Feindesliebe (FL) ist souverän. FL wird wird in allen nahen und längeren Beziehungen und Institutionen gebraucht. Nähe als verlässliches Wohlwollen will gelernt sein, tut gut, schafft aber immer auch Distanz durch Negativübertagungen, durch Enttäuschungen. Entgegen der Vorkriegstheol. ist FL keine Übung für religiöse Highperformer*innen. FL ist schlicht zwischenmenschliche Logik, falls Peacemaking ernst gemeint ist, betont Navid Kermani, dies sei der lbenwichtige Beitrag des Christentums. Diese private und die politische Emotion stressfester Liebe ist nach Martha Nussbaum kein Kitschbetrieb, sd. Arbeit reifer Akteur*innen für Wohlwollen angesichts durchaus stressiger Zeitgenoss*innen. Maria Montessori hatte formuliert: „Liebe mich dann am meisten, wenn ich‘s Dir am schwersten mache. Denn dann brauche ich Dich am meisten!“ Darin besteht die persönlich und soziale Transformationskraft, um unter Stress der Falle kontraproduktive Eskalationsmanöver zu entkommen.
Parallel aber sind Siegphantasien vital: Das Tetragramm ‚Jahwe‘ ist religionsgeschichtlich die Adaption des ugaritischen Kriegsgott. Israel will Barmherzigkeit für sich und mit diesem Gott über andere siegen: Exodus hießt nicht nur Exodus aus der Gewalt, sd. Landahme, heißt Genozid gegen Kanaaniter, Amoriter, Hetiter, Perisiter, Hiwiter, Jebusiter. Theologische Freund-Feind-Programme haben damals wie heute in allen gewaltbereiten Religionsfundamentalismen Konjunktur, auch in der christl. Hochtheol. – von der Konstantinischen Wende bis zum 2. Weltkrieg. Religion aber spiegelt immer politische Exklusionsprobleme.
Warum also wären wir heute noch entschuldigt, wo wir evbiol. Wissen haben und dem Vorsichtssprinzip ganz anders verpflichtet sind, wenn wir uns durch die technischen Mittel – anders als zu Zeiten des Exodus – planetarisch den Garaus machen könnten? Gerade weil wir technisch so viel können, seien wir uns unserer Nacktheit, unserer Hilflosigkeit nur halb bewusst, sagt die Emotionstheorie. Das Programm der Bergperdigt, Gewaltfreie Komunikation nach Marsgall B. Rosenberg, nämlich Bitten zu lernen und nachzuverhandeln, wirkt unattraktiv schwach. Deshalb kompensieren wir über. ‚Angriff ist die beste Vetreidigung‘ bleibt ein unmittelbar attraktives Programm aus Tohuwabohu-Zeiten: Powerplays in Beziehungen, Scheidungskriege, Schulmobbing, politische Konflikte, sexualsierter Missbrauch Selbstausbeutung bis zum Burn out, die Suzidraten steigen bei Jugendlichen mit allen Chancen.
Evolution braucht Entscheidung. Kognitiv simpel, existentiell herausfordernd. Es ist die Konversion zu einem neuen nachhaltigen Machtgebrauch gegen Selektion und Repression, für Befähigung und Teilhabe alle Kreaturen, formuliert der große protestentische Exeget Gert Theißen. Servant Leadership ist das Jesus-Programm: „Die Mächtigen der Welt unterdrücken ihre Völker und beuten sie aus. Bei Euch soll es nicht nicht so sein. Wer von Euch der Größte sein will, sei der Diener aller.“ (Mk 10,42-43).
Nach Theißentestet sich Gott in Jesus Christus selber, lässt sich ein auf die Kooperation mit nicht perfekten Geschöpfen ein, testet die Wirksamkeit des neuen Machtideals: Souverän und nachhaltig durch Gewaltlosigkeit: Gott ist Mensch in Christus. Jesus, der Direct action-Mann, geht in der Berufstradition der Propheten weit in der Kritik des Machtmissbrauchs: am Moralismus der Pharisäer, an der Kultmagie der Priester, an der Besatzungsmacht der Römer und der Kollaboration Israels. Kritik provoziert die Gegenwehr der Machthaber. Jesus geht in den Tod, rettet nicht sein Haut, sd. seine Identität, steht unerschütterlich gewaltfrei ein für sein Programm, unetr Druck. Er wird Folteropfer, verlassen von den meisten seiner Peers. Die Erfahrung von Unbestechlichkeit für eine Welt ohne Ausgeschlossene aber ist merkwürdig vitalisierend: Pfingsten, Kirchewerdung des Heiligen Geistes! Ängstliche lassen sich inspirieren für dieses Projekt. Deshalb sind wir jetzt hier. Wissenschaftstheoretisch sterben Körperzellen, auch die Jesu. Nichts aber spricht dagegen, an die leibseelische Identität jenseits dieser Welt zu glauben. Auch die Position, alles ist mit dem Tod aus, ist ein Glaube, eine Sinndeutung. Evolution heißt, Auferstehung jetzt: Kooperation gegen Tode im Leben mit allen Menschen guten Willens, mit und ohne Transzendenzglauben, das ist gut möglich!
Aber wie? Zum Schluss die Option für: 1. Diagnose ‚Kalb‘, 2. Ressource ‚Dreiecksverhältnis‘, 3. Prävention durch Institutionen.
- Die Diagnose ‚Kalb‘, „Störungen haben Vorrang“, sagt die themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn: Das Kalb steht für Checkermentalität, weil wir so verletzlich sind. Die Dosis macht das Gift. Selbstwirksamkeit: ja, gnadenlose Obsessionen: Vorsicht! Fruchtbarkeit total kontrollieren, Kinder und Karrieren machen. Geld, fair gebraucht, ist gut, sagt die katholische Soziallehre. Geld als Fetisch macht süchtig und ausbeuterisch. Arbeit ist gottgewollte Kokreativität. Superkarrieren aber können gandenlos machen, können andere Menschen, auch die eigene Familie, und sich selbst nur zum Anlass des eigenen Fortkommens degradieren, sagt die Burn-out-Forschung, so drohe Depression aus Sinnverlust. Deshalb:
- Ressource Dreiecksverhältnis: Als das Exodusnarrativ redigiert wird, nach dem Trauma des babylonischen Exils, bekennt sich Israel zu einem produktiven Dreiecksverhältnis. Vertraue, agiere im Geist des Wohlwollens, und Du wirst, 1,. den Herrn, Deinen Gott, lieben und, 2., die Nächste wie, 3., Dich selbt. Vertrauen gibt unserem Kooperationswillen Durchhaltevermögen, weil er so verletztbar ist. Wachse über Dich hinaus mit Gottes Hilfe, durchschreite das Dunkel Deiner Verlustangst. Verzichte unter Sorge, aber mehr Hoffnung und Klugheit auf den Erstschlag vom indignierten Augenbrauenhochziehen bis hin zum Angriffskrieg auf die Ukraine. Vertraue und die 10 Gebote, die besudelten, werden heilig gehalten, werden lebendig und prägend. Deshalb:
- Lasst und gute Institutionen bauen und sklerotische reformieren! Institutionen wirken präventiv, begrenzen den Schaden bei Motivationsverfall und orientieren Konfliktaushandlungen, verhelfen unserem besseren Selbst zu Präsenz unter Druck: Die 10 Gebote, die MR seit 1948 sind die Basisinstitution. Moderne Gesellschaften differenzieren sich in Rechts- und Bildungsinstitutioen aus: Keine globale Klimagerechtigkeit ohne CO2-Preis. Ohne gerechte Steuern kein Sozialstaat. Ohne Scheidungsrecht kein fairer Unterhalt. Jugendwohngruppen statt Gefängnis als Humanisierung des Strafrechts, sagt Thomas Galli. JRS, Jesuit Refugee Service, Willkommensklassen, und Migrationsrecht, nicht Zäune, dafür steht hier Klaus Pfuff. Jesuit World Wide Learning in Kriegsgebieten förden den Frieden von morgen, sagt Peter Balleis; Änderung der Grundordnung und Seelsorge für queere Menschen im Erzbistum Berlin; Prävention und transparente kirchliche Aufklärung in Kooperation mit dem Strafrecht in Fällen sexualisierter Gewalt, dafür hat Klaus Mertes wesentlich gesorgt: Und ja, immer ist es schlimmer, als gedacht, wenn verdrängt wird aus vordergründig besten Motiven – hier, die Kirche nicht zu schädigen. Transfromationsinstitutionen für mehr Teilhabe sind kokreativ, gottgefällig in alter Sprache.
Dazu gehört auch interreligiöses Lernen: Jesus ist, wie das Johannesevangelium sagt, Licht gegen absichtliche Zerstörungslust, gegen Sünden. Auch die Theologie rüstet ab, globalisiert sich, versteht sich selber besser: In Jesus wie in allen liebenden Menschen spricht Gott definitiv, aber nicht exklusiv, so lässt sich das Konzil von Chalcedon interpretieren: Außer der Sünde ist xp ist in allem uns Menschen gleich. Denn die erste Kirche baut sich Gott mit seiner Schöpfung selbst, sagt Origenes. Göttlich barmherziges Profil gewinnt, wer Beziehungen stiftet und unter Irritation wohlwollend halten will.
Und wie es ausgeht: Hoffentlich gut! Der Architekt ist der Barmherzige, die Raumeröffnerin für alle gute Geburtlichkeit – mit Hannah Arendt gesprochen. Gewaltexzesse entmutigen. Eine Theologie nach Auschwitz markiert das Horrende genauso wie die postkolonialen Befreiungstheologien. Und dennoch gilt das Wort des liebesbegabten Agnostikers Vaclav Havel: Lasst uns für eine gerechte Welt eintreten, nicht weil das Projekt notwendig gut ausgeht, sondern weil es unbedingt Sinn hat, Amen.