Liebe Gemeinde, liebe Gäste,
das Evangelium, die christliche Botschaft, ist in besonderer Weise mit der antiken Geschichte verbunden: So die Geburt Jesu beim Evangelisten Matthäus mit König Herodes, bei Lukas sogar mit Kaiser Augustus. In der Passionsgeschichte spielt der römische Statthalter Pilatus eine zentrale Rolle. Sein Name steht neben Jesus und Maria im Glaubensbekenntnis. Seine Person läßt sich historisch verifizieren und markiert so die Verankerung des Christentums an einem bestimmbaren Punkt der Geschichte. Das hatte zur Folge, daß sich nicht nur Theologen, sondern auch Historiker mit der Geschichte Jesu und seiner Botschaft befaßten; daß nicht nur deren theologische Bedeutung in Frage stand, sondern auch ihre Geschichtlichkeit: angefangen von Problemen der Chronologie – in welchem Jahr Jesus geboren und wann er gestorben ist – bis hin zur Frage, welche seiner überlieferten Worte wohl authentisch sind. Und die komplexe biblische Überlieferung – allein schon das Nebeneinander von vier Evangelientexten – hat die Geschichtswissenschaft besonders seit dem 19. Jahrhundert zu kritischen Untersuchungen herausgefordert und eine sog. historisch-kritische Exegese begründet, ausgehend zunächst von evangelischen Neutestamentlern.
Für mich persönlich war eine solche historisch-kritische Betrachtungsweise im Hinblick auf die Bibel zu Beginn meines Geschichtsstudiums 1965 ganz neu. In meiner Schulzeit im Jesuitenkolleg St. Blasien war davon keine Rede, obwohl wir damals – es war die Zeit des Konzils – viele kritische Fragen zur Kirche und zur Bibel diskutiert haben. Ich habe mich dann im Studium anfangs auch mit Fragen der Bibelexegese beschäftigt, habe Schriften Rudolf Bultmanns gelesen und Vorträge gehört, etwa von Herbert Braun, einem Schüler Bultmanns. Insgesamt hat mich das damals vom Glauben weggeführt. Hätte ich seinerzeit Joseph Ratzingers „Einführung in das Christentum“ gelesen, die 1968 herauskam, hätte ich sehen können, wie gründlich er auch auf die Problematik des Historischen im Christentum und auf Bultmann einging. Aber auf dieses Buch bin ich erst 40 Jahre später gestoßen und habe gestaunt, wie aktuell und brauchbar es noch immer ist.
Ich möchte mich im Folgenden auf die historischen Aspekte der beiden wichtigsten Ereignisse des Evangeliums konzentrieren: auf die Kreuzigung und die Auferstehung. Die Kreuzigung ist auch durch nicht-christliche, also außerbiblische Quellen bezeugt: Die wichtigste und glaubwürdigste davon stammt vom römischen Historiker Tacitus, der offenbar kein Freund der Christen war. Er erwähnt sie im Zusammenhang ihrer Verfolgung durch Kaiser Nero: Dieser habe den Christen die Schuld an dem verheerenden Brand Roms zugeschoben, um Gerüchten zu begegnen, wonach er selbst die Brandlegung veranlaßt habe. Und zur Erklärung des Namens ‚Christiani‘ schreibt Tacitus an dieser Stelle (Annales XV, 44, 3):
„Dieser Name stammt von Christus, der unter Tiberius vom Procurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Dieser verderbliche Aberglaube (der Christen) war für den Augenblick unterdrückt worden, trat aber später wieder hervor und verbreitete sich nicht nur in Judäa, wo er aufgekommen war, sondern auch in Rom, wo alle Gräuel und Abscheulichkeiten der ganzen Welt zusammenströmen und geübt werden.“
Soweit der bedeutende Historiker Tacitus, dessen Aussage beweist: Die Kreuzigung Jesu unter Pilatus ist historisch gesehen nicht zu bezweifeln. Fraglich und umstritten ist allerdings der Grund seiner Hinrichtung: ob etwa eher politische Motive von römischer Seite oder religiöse von Seiten der jüdischen Autoritäten vorherrschten. Meines Erachtens können allein politische Gründe nicht entscheidend gewesen sein, wenn man nämlich die Folgen dieses Ereignisses betrachtet. Denn wäre Jesus lediglich ein Rebell gegen die Römerherrschaft gewesen, von denen es damals etliche gab, hätte sein Tod sehr wahrscheinlich nicht eine vergleichbare religiöse Bewegung ausgelöst.
Die Kreuzigung von Aufständischen war bei den Römern nicht ungewöhnlich. Nach der Niederschlagung des Spartacus-Aufstandes etwa hatte man 6000 seiner Anhänger entlang der Via Appia gekreuzigt – auf einer Strecke von über 150 km, von Rom bis nach Capua. Spartacus, der den größten Sklavenaufstand der Antike angeführt hat, ist vor allem im 20. Jahrhundert bei kommunistischen Gruppen kurzzeitig wieder zu Ehren gekommen. Die Kreuzigung Jesu bestimmt dagegen von der Antike bis heute die Weltgeschichte. Aber sie war von Anfang an und zu allen Zeiten anstößig: für die einen ein Skandal, für die anderen Grund zum Spott, wie Paulus schreibt (1 Kor 1,23): für Juden ein skandalon, also ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit. Die früheste Darstellung der Kreuzigung – sie wurde in Rom auf dem Palatinhügel gefunden – beweist dies: Es ist ein Graffito, auf dem der Gekreuzigte mit einem Eselskopf abgebildet ist. (Dazu die Inschrift: „Alexamenos sebete theon, das heißt: Alexamenos betet Gott an“. Und diese Person ist neben dem Gekreuzigten ebenfalls zu sehen.)
Die frühen Christen vermieden deshalb offenbar Kreuzesdarstellungen, sie gebrauchten andere Symbole. Erst seit dem 4. Jahrhundert – nach Konstantins Sieg „im Zeichen des Kreuzes“ – ändert sich das. Aber das Kruzifix ist auch heute noch anstößig: Seine Anbringung in öffentlichen Räumen sorgt oft für Streit. Und selbst die obersten Repräsentanten unserer beiden Kirchen hatten ihr Brustkreuz auf dem Tempelberg lieber verborgen. – In St. Canisius hat man den Gekreuzigten, dieses besonders ausdrucksstarke Kunstwerk, in der äußersten Ecke aufgehängt, wo es für die Gemeinde im Gottesdienst kaum sichtbar ist. Es hat den Brand der alten Kirche überdauert. In seiner Drastik drückt es nicht nur die Grausamkeit der Kreuzigung aus, sondern ist auch eine Erinnerung an die Gräuel des 2. Weltkrieges, der damals, als es entstand, erst ein Jahrzehnt zurücklag. – 50 Jahre später, als der Krieg bei uns zunehmend aus dem Blick geraten war, schien es wohl manchen wie aus der Zeit gefallen und nicht mehr recht in diese Kirche zu passen. Inzwischen sind Kriege uns wieder näher gerückt – vielleicht auch dieser durchs Feuer gegangene Gekreuzigte.
Ich komme zur Auferstehung Christi, die hier in St. Canisius mit diesem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert anschaulich gemacht werden soll. Es steht in einer mittelalterlichen Bildtradition, wie sie in vielen Kirchen und Museen zu finden ist. Was kann aber ein Historiker heute zur Auferstehung sagen? Er kann sich wohl nicht mehr an einer solchen legendären Darstellung des Geschehens orientieren, die davon ausgeht, daß die Auferstehung im Beisein der Wachsoldaten geschehen sei. Anders als bei der Kreuzigung gab es bei der Auferstehung aber keine Augenzeugen. Die neutestamentlichen Zeugnisse beziehen sich nicht auf den Vorgang der Auferstehung, sondern auf die folgenden Erscheinungen des Auferstandenen. Das Ereignis selbst läßt sich also nur indirekt aus den Visionen und Erlebnissen der Jünger und Jüngerinnen erschließen. Diese Begegnungen mit dem auferstandenen Christus waren allerdings so einschneidend, daß sie der stärkste und bleibende Antrieb für die folgende Mission der Apostel und der Urkirche wurden.
Der Glaube an die Auferstehung war zweifellos der Ausgangspunkt und das Fundament der christlichen Verkündigung. So betont es Paulus im 1. Korintherbrief – es ist dies das früheste schriftliche Zeugnis des Ereignisses: geschrieben um das Jahr 54, also noch etwa zwei Jahrzehnte vor den ältesten Evangelienberichten, die erst nach dem Jahr 70 entstanden sind, nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Es ist zugleich die ausführlichste Zusammenfassung der verschiedenen Erscheinungen, welche den Auferstehungsglauben der Christen in Korinth befestigen sollen. Damit hatte ihnen Paulus bereits bei der Gründung dieser Gemeinde wenige Jahre zuvor – etwa im Jahre 50 – den Kern des Evangeliums vermittelt. Und er gebe dabei weiter, schreibt er, was er selbst von den anderen Aposteln empfangen habe (1 Kor 15,3). „Daraus folgt, daß es schon ca. 15 Jahre nach dem Tod Jesu eine geprägte Überlieferung von seinem Sterben und Auferstehen gab.“ (G.Theißen/A.Merz, Der historische Jesus, S.426) – Mit diesem sicher datierbaren Brief des Paulus kommen wir also sehr nah an das entscheidende Geschehen heran.
Der Brief an seine neugegründete Gemeinde und zumal die Passage zur Auferstehung läßt deutlich erkennen, welche Unsicherheit und wohl auch Zweifel an dieser zentralen Botschaft des Glaubens aufgekommen waren. Dagegen betont Paulus, daß die Rettung davon abhänge, am genauen Wortlaut des Evangeliums festzuhalten (15,2). – Das ist für die antike und zumal die griechische Welt ein völlig neuer Gedanke. Denn deren religiöse Mythen zeichnen sich seit Homer gerade durch vielfältige Varianten und poetische Umformungen aus, nicht etwa durch einen formelhaft festgelegten „Glauben“, der sich bekennen läßt – wie es in der Messe nach der Predigt mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis noch immer geschieht. – Zweifel am Auferstehungsglauben gab es also von Anfang an, nicht erst seit der europäischen Aufklärung in der Neuzeit. Zumal für Gebildete wie etwa den Historiker Tacitus war das Ganze „ein Verderben bringender Aberglaube“ (exitiabilis superstitio).
Vor diesem Hintergrund ist es absolut erstaunlich und nur schwer zu erklären, daß sich dieser Glaube relativ schnell auch über die Jüngerschaft und über Palästina hinaus reichsweit ausgebreitet hat. Selbst im weit entfernten Rom muß es schon vor Paulus eine öffentlich wahrnehmbare Gemeinde gegeben haben, denn die Christen müssen schon im Jahr 64 in der Stadt so bekannt gewesen sein, daß Neros Beschuldigung, auch wenn sie zu Unrecht erfolgte, mit einer gewissen Zustimmung rechnen konnte. Damals lag die Kreuzigung aber erst 30 Jahre zurück und die Christen – obwohl nur eine kleine Gruppe in einer Millionenstadt – waren in Rom bereits so aufgefallen, daß sie als Sündenböcke dienen konnten. Was aber machte diesen völlig neuartigen und anspruchsvollen Glauben, der für viele offenbar ein wüster Aberglaube war, für andere Menschen so anziehend?
In der althistorischen Forschung wird der Auferstehungsglaube gelegentlich psychologisch erklärt als Selbstsuggestion der Jünger, als eine Trost spendende Eingebung, die ihnen nach der Hinrichtung Jesu den Lebensmut zurückgab. (Vgl. W.Dahlheim, Die Welt zur Zeit Jesu, S.87). Das mag im Blick auf die primär Betroffenen denkbar sein. Aber damit läßt sich meines Erachtens kaum erklären, daß auch lange nach dem Tod der ursprünglichen Zeugen, die Paulus im Korintherbrief anführt, unzählig viele Menschen diesem Glauben anhängen und dafür sogar als Märtyrer ihr Leben opfern – in der Antike und noch bis heute.
Die Auferstehung Christi ist nicht wie die Kreuzigung ein historisch beweisbares Faktum. Wohl aber ist deren Auswirkung, also der fortdauernde Glaube an die Auferstehung und seine zweifellos weltgeschichtlichen Folgen, ein historisches Faktum ersten Ranges. Denn dieser Glaube hat das Christentum begründet und eine neue Zeitrechnung zur Folge, die seit dem 20. Jahrhundert auf dem gesamten Globus gilt, seit 1912 etwa auch in China.
Verschiedene Versuche, dagegen eine andere, nichtchristliche Ära einzuführen, hatten keinen Erfolg: wie zum Beispiel in der Französischen Revolution oder auch im faschistischen Italien, wo eine Era Fascista (EF) verordnet wurde. Eine Gebäudeinschrift mit dieser Datierung findet sich übrigens in Rom sogar an der Via della Conciliazione, unweit des Petersdomes. Man hat sie nach dem Krieg nicht einmal entfernt. Sie dokumentiert dort bis heute die politische Hybris und die Blamage jener Ära gegenüber dem Zentrum der Weltkirche. Dabei hat die Era Fascista mit ihren gut 20 Jahren noch länger gedauert als das Tausendjährige 3. Reich bei uns.
Der christliche Glaube hat sich im Laufe von 2000 Jahren weltweit verbreitet – trotz eines völlig veränderten naturwissenschaftlichen Weltbildes. Heute gibt es circa zweieinhalb Milliarden Christen, etwa die Hälfte davon Katholiken. In Mitteleuropa nimmt deren Zahl derzeit zwar ab, aber in anderen Kontinenten, besonders in Afrika, steigt sie an. Während die christliche Mission jahrhundertelang von Europa ausging, verläuft sie nun eher in umgekehrter Richtung. Man kann diese „postkoloniale“ Entwicklung erfreulicherweise gerade in unserer Pfarrei beobachten, nämlich an unserem Leitenden Pfarrer Pater Tanye. Er ist Mitglied eines Ordens, der von Steyl bei Venlo ausging und typisch für die außereuropäische Mission war, zumal in Afrika. – P. Tanye kommt nun aus Ghana, um die Mission hier im Berliner Westen anzuleiten.
Erfreulich ist auch, daß Christi Auferstehung nun der Name unserer neuen Großpfarrei wurde. Es war dies das Resultat einer demokratischen Abstimmung der Katholiken „rund um den Funkturm“: sie konnten dabei zwischen drei Namen wählen. Das Abstimmungsergebnis zeigt, daß der Glaube an die Auferstehung auch in Berlin, das als besonders säkular gilt, daß dieser Glaube für Christen hier – ganz im Sinne des Apostels Paulus – noch immer an erster Stelle steht.
Prof. Dr. Peter Spahn, Althistoriker, lehrte bis zu seiner Pensionierung an der FU Berlin.