Nachlese – Fastenpredigt Klaus Mertes

DER NOACH-BUND

Predigt, 18.2.2024, Hl. Geist, 11.30 Uhr

P. Klaus Mertes SJ

1

Ich wurde von Muslimen eingeladen, anlässlich der Noah-Aschura über die Noah-Geschichte aus christlicher Sicht zu sprechen. „Aschura“ ist eine Süßspeise, auch „Noach-Suppe“ genannt. Den Ursprung dieses Gerichtes sehen die Muslime, wie der Name sagt, in der Noach-Geschichte, Sure 11+71. Als die Arche auf dem Berg Ararat landete, wollten die Geretteten ein Festessen kochen. Da sie nur noch wenig Nahrungsmittel hatten, taten sie alles, was sie noch hatten, in einen Kochtopf zusammen. Durch die Gnade Gottes wurden trotz der Knappheit alle satt. Ein wenig erinnert mich diese Geschichte an die wunderbare Brotvermehrung am See von Tiberias.

Ich forschte im Koran und im Buch Genesis nach und entdeckte, dass beide die Noach-Geschichte sehr ähnlich erzählen. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied. Im Koran macht Gott die Wasserschleusen auf, weil er über den Polytheismus erzürnt ist. Im Buch Genesis hingegen ist es die Gewalt zwischen den Menschen, die Gott erzürnt: „Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalt.“ Gewalt also ist das Grundproblem der Menschheit, wie die Erzählung der Schrift es sieht. Das war dann auch mein Anknüpfungspunkt, um vor den anwesenden Muslimen, insgesamt 600 Personen, über Gewalt zu sprechen, und über den Zusammenhang von Religion und Gewalt, positiv wie negativ.

Ich verdanke diesem Abend zwei Erkenntnisse. Durch den Vergleich wurde mir das Profil des biblischen Berichtes bewusst. Es geht um die Frage: „Wie kommen wir aus der Gewalt heraus?“ Und ich war dankbar. „Das ist Berlin“, dachte ich mir. Muslime laden einen Christen zu einer Feier ein. Und umgekehrt müsste das eigentlich auch gehen. Das wäre dann einer der möglichen Wege aus der Gewalt: Gegenseitige Gastfreundschaft.

2

Papst Franziskus geht in seiner großen Umwelt-Enzyklika auf die Noachgeschichte ein. Er zitiert: „Obwohl auf der Erde die Schlechtigkeit der Menschen zunahm (Gen 6,5) und es Gott reute, auf der Erden Menschen gemacht zu haben“ (Gen 6,6), entschied er doch, über Noach, der noch rechtschaffen und gerecht geblieben war, einen Weg der Rettung zu eröffnen. Ein guter Mensch ist genug, um die Hoffnung nicht untergehen zu lassen!“

Es reicht also ein Mensch, um die Schöpfung zu retten, oder genauer, um in der Noach-Erzählung zu bleiben: Ein Stamm. Einer für alle – dieses Prinzip wiederholt sich ja im Evangelium. Durch den einen Menschen Jesus ist der ganzen Schöpfung ein neuer Anfang geschenkt worden. Das ist ein Hinweis für alle, denen heute die Größe der Aufgaben Angst macht: Klimakatastrophe, Hass, Krieg, Krise der Demokratie: Lasst euch nicht von der Größe der Aufgabe erschrecken, weil ihr so klein seid. Es gibt eine falsche Resignation. Man kann auch mit kleinem Dingen Großes bewirken, wenn man den Rest Gott zutraut.

3

Nach der Flut schließt Gott mit Noach einen Bund. Eigentlich ist es kein Bund, sondern eine einseitige Zusage: „Ich will die Erde wegen des Menschen nicht noch einmal verfluchen. Denn das Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf. Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten, wie ich es getan habe.“ (Gen 8,21) Was an dieser Stelle überrascht, ist, dass Gott sich offensichtlich keine Illusionen über den Menschen macht. Er sagt gerade nicht: „Wenn Du wieder zur Gewalt zurückkehrst wie vor der Flut, dann öffne ich erneut die Schleusen des Himmels.“ Er weiß vielmehr, dass sich die Menschheit nicht ändern wird, und ändert daher sich selbst. Er segnet die Welt neu, obwohl sie „böse“ statt „gut“ ist.Es ist ein Bund, den Gott sozusagen für sich selbst schließt. Damit kann er von menschlicher Seite nicht mehr gebrochen werden. Dahinter steht die Gewissheit, dass Gott auch dann auf Seiten der Menschheit steht, wenn diese wieder und wieder von ihm abtrünnig wird. Man kann sich also nicht auf die Noach-Geschichte berufen, wenn man meint, die aktuelle Klima-Krise sei eine Strafe Gottes.

4

Das Zeichen des Regenbogens ist schließlich das Zeichen der Hoffnung. Der Neuanfang wird mit einem Hoffnungszeichen besiegelt. Gott straft nicht noch einmal, aber er resigniert auch nicht. Er setzt ein Zeichen der Hoffnung. In jüngster Zeit habe ich dieses Zeichen nirgends so eindrucksvoll aufgerichtet gesehen wie am Schluss von Charlie Chaplins Film „The great Dictator“: Der jüdische Friseur, der mit Adolph Hitler, genannt Anton Hynkel, verwechselt wird, spricht am Endes Films vor dem Nazi-Parteitagspublikum folgende Worte zu seiner Freundin, die als vermeintliche Rede des „Führers“ im ganzen Land übertraeb wird und deswegen von ihr im Radio zu Hause gehört werden kann: „Hanna, kannst du mich hören? Wo auch immer du bist, blicke nach oben. Blicke auf, Hannah. Die Wolken zerstreuen sich. Wir kommen aus der Finsternis in  das Licht. Wir kommen in eine neue Welt – in eine freundlichere Welt, wo die Menschen sich über ihre Gier, ihren Hass und ihre Gewalttätigkeit erheben. Blicke empor, Hannah! Die Seele des Menschen hat Flügel bekommen, und nun endlich beginnt er zu fliegen! Er fliegt in den Regenbogen, in das Licht der Hoffnung. Blicke empor, Hannah! Blicke empor.“