Claudia Stockinger über Andreas Maier
Claudia Stockinger ist vielen in St. Canisius wohl bekannt. Zusammen mit P. Christoph Soyer SJ und dessen Nachfolger, P. Jan Korditschke SJ, hat sie Glaubenskurse für Erwachsene gehalten. Im bürgerlichen Leben ist sie Professorin für Neuere Deutsche Literatur (19.-21. Jahrhundert) an der Humboldt-Universität in Berlin. Zusätzlich ist sie Mitglied des Ausbildungskonsults des Jesuitenordens der deutschen bzw. nunmehr zentraleuropäischen Provinz.
Frau Stockinger hat im Rahmen der Philosophischen Predigten in der Abendmesse am 5. Januar anhand des Schriftstellers Andreas Maier illustriert, wie das Wort Gott im Diskurs von Literaten vorkommt. Die sich gleichermaßen als Literaturwissenschaftlerin und gläubige Christin verstehende Germanistin stellt einen Trendwechsel in ihrer Umgebung fest. Betrachte man den Literaturbetrieb der Gegenwart, so Frau Stockinger, so kann man feststellen: „Gott hat Konjunktur!“ Noch um die Jahrtausendwende meinte Arnold Stadler feststellen zu müssen: „Tabus gibt es keine mehr, außer Gott!“ Das sei heute anders. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Autoren wieder fromm werden, aber die Gottesfrage – und nicht nur die Frage nach der Kirche – taucht wieder vermehrt auf. Dem einstigen No-Go-Thema wird ein steigendes Interesse entgegengebracht.
Als Beispiele führt Claudia Stockinger an:
- Der Büchner-Preis-Träger Martin Mosebach will die lateinische Messe wieder haben und sagt der nachkonziliaren Liturgiereform den Kampf an;
- Die Autorin Felicitas Hoppe feiert die Beichte.
- Peter Handke, Nobelpreisträger des Jahres 2019, outet sich als regelmäßiger Teilnehmer katholischer Gottesdienste;
- Patrick Roth „erschreibt“ sich das Evangelium des Hl. Joseph;
- Martin Walser wünscht sich, es gebe Gott – er fehle ihm!
Mehr noch: Die Autoren beteiligen sich gerade nicht an der Medienschelte und Empörung über die Kirche und deren Bodenpersonal, wenngleich auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen. Es geht auch nicht um bloße, aus dem Gesamtkontext gerissene Anleihen aus der kirchlichen Ästhetik (etwa der Liturgie), sondern es geht vielen Autoren in der Tat um religiöse Selbstverortung, um Standortbestimmung, um Bekenntnis.
Einen wichtigen Anfang markierte nach Claudia Stockinger der schon erwähnte Arnold Stadler 1999 in seinem Roman Ein hinreissender Schrotthändler – und zwar gerade mit der Feststellung, wie schwierig – fast bis zum Tabu – es doch geworden sei, über Gott zu reden. Dem Provokateur Andreas Maier freilich scheint das gerade recht gewesen zu sein. 2005 gesteht er in einem Interview in der ZEIT dem Journalisten Ulrich Greiner: „Irgendwann habe ich damit angefangen, mir die Verwendung des Wortes Gott zu gönnen“. Maier gönnt sich also das Wort „Gott“. Und das Wort „Ich“. Kein Verstecken und Verschanzen hinter einem anonymen „man“.
Was von breiteren Kreisen an der Bibel oft kritisiert wird – die interne Widersprüchlichkeit – sieht der Autor als Gewinn, denn – so Claudia Stockinger – die christlichen Wahrheiten verlangen den Gläubigen ab, Widersprüchliches auszuhalten und zu feiern: die ‚felix culpa‘ (die glückliche Schuld, die im Exsultet, dem Osterlob der Osternacht besungen wird) oder das Mysterium fidei, am Scheitelpunkt der Messe: „Deinen Tod o Herr verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit“. Im Tod ist das Leben, so Claudia Stockinger, ein Neues Geistliches Lied aufgreifend. Das Manko kann also auch und gerade eine Chance sein. Und überhaupt: leben wir nicht in einer Welt voller Widersprüche? Ist es da anders?
Andreas Maier ist bekannt für seine Publikumsbeschimpfungen, sieht sich hier aber in der Tradition Jesu, der den Tempel reinigt. Mangelndes Selbst- und Sendungsbewusstsein scheint der Autor nicht zu haben. „Er ist nicht wohlgelitten in den Feuilletons“, so auch Claudia Stockinger. Sie meint allerdings, dass gerade die Kritik am Publikum ein Zeichen des Respektes gegenüber den Lesern / Hörern sei, weil Maier sie ernst nehme und sich zumutet. Andreas Maier – und viele andere Literaten mit ihm – klagen den Aufforderungscharakter von Bibel und Liturgie ein: Das „Gehet hin in Frieden“ (Lateinisch: Ita missa est – geht, es ist Sendung) am Ende der Messe ist kein Abschluss einer schön-erbaulichen Meditation sondern Aufruf zum Handeln. Claudia Stockinger schließt: ‚Von Gott reden‘ verlangt mehr: Es fordert, das Evangelium zu leben, es vorzuleben.
Nach dem Gottesdienst ergab sich noch eine kleine Diskussionsrunde in der es u.a. auch darum ging, wie die Rede von Gott in der (säkularen) Öffentlichkeit gestaltet ist und welche Chancen sich von da aus für die christliche Verkündigung auftun. So erfreulich die Enttabuisierung der Gottesrede ist, so nüchtern gilt es doch zu bleiben. Steffen Martus, Ehemann von Frau Stockinger und selber Germanist, meint, dass die meisten Diskurse von statten gehen, ohne dass dazu die Gottesfrage gestellt werden müsste, dass eben – anders als Martin Walser oder Jürgen Habermas – oft nichts fehle. Die Kirche müsse, so der Professor, Gelegenheiten schaffen, wo man der Rede von Gott gar nicht mehr ausweichen kann. Das freilich, dürfte nicht so leicht sein…
P. Manfred Hösl SJ
(mit Dank an Claudia Stockinger für die Überlassung ihrer Notizen – für etwaige Fehlinterpretationen zeichne ich aber alleine mich verantwortlich)