„Glaubst du noch an Gott?“

Neuer Kinofilm zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche

„Gelobt sei Gott“ ist ein aktueller Film in den Kinos, der den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche thematisiert. Der Film hatte seine deutsche Premiere am 8. Februar 2019 auf der Berlinale. Seit dem 26. September ist er in den deutschen Kinos zu sehen. Auch Jesuiten an St. Canisius waren in dem Film, den François Ozon gedreht hat und in dem Melvil Poupaud die Hauptrolle spielt. P. Georg Maria Roers SJ schildert seine Eindrücke.

„Glaubst du noch an Gott?“ Diese Frage stellt der erwachsene Sohn seinem Vater am Ende des Filmes „Gelobt sei Gott“, der Ende September 2019 auch in die deutschen Kinos kam. Der Vater, Alexandre wurde im Pfadfinderlager wie viele seiner Mitschüler von einem Geistlichen sexuell missbraucht. Eher zufällig stellt er fest, dass dieser immer noch in einer Gemeinde und in der Kinderkatechese aktiv ist. Die Leitung der Diözese Lyon weiß Bescheid und landet deshalb wie der Geistliche vor Gericht. Der Täter wird wegen seiner unzähligen Taten verurteilt und Kardinal Barbarin wegen Vertuschung dieser Taten. Der Kardinal geht in Berufung. Der Fall ist daher noch nicht abgeschlossen. Das ist auch der Grund dafür, dass Papst Franziskus den angebotenen Rücktritt Kardinal Barbarin?s noch nicht angenommen hat wie die vielen Rücktritte einiger chilenischen Bischöfe, die in einer ähnlichen Bredouille standen, um es diplomatisch auszudrücken. Im Zweifel für den Angeklagten, das wird im Recht immer ganz ernst genommen.

Die Betroffenen werden leider weder in der Vergangenheit noch heute besonders ernst genommen.

Es geht hin und her. Die deutsche Kirche versucht gerade sich bei den Betroffenen „freizukaufen“, kritisiert Pater Klaus Mertes SJ aktuell.  Mertes wird wiederum von den Betroffenen vom Eckigen Tisch Bonn (ETB) dafür kritisiert, dass er die jüngste Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz mögliche höhere Entschädigungen zu zahlen, mit diesem Interview im Kölner Stadtanzeiger unterminiere bzw. „in Teilen übergriffig argumentiere“. Im Domradio in Köln (25.09.2019) hieß es ja: „Das eine Modell sieht eine pauschale Entschädigung in Höhe von rund 300.000 Euro pro Fall vor, das andere ein abgestuftes Entschädigungsverfahren, bei dem je nach Schwere des Falls zwischen 40.000 und 400.000 Euro gezahlt werden.“ Wie das konkret aussieht, steht noch in den Sternen. Schon vor einem Jahr (25.09.2018) schrieb der ETB einen Tag nach der Veröffentlichung der MHG-Studie der Deutschen Bischöfe: „Jetzt weinen dieselben Bischöfe Krokodils Tränen, die die Archive zur Aufklärung nicht ganz geöffnet haben. Dass sie nun die Deutungshoheit verloren haben, ist ein Glücksfall. Jetzt muss der Rechtsstaat agieren!“

In Deutschland hat es Theaterstücke gegeben wie 2015 erstens „Schlafe, mein Prinzchen“, ein Theaterstück von Franz Wittenbrink am Berliner Ensemble. Thema war der Missbrauch an der Odenwaldschule und bei den Regensburger Domspatzen. Eine Beichtszene ist geradezu klassisch.  Zweitens das Stück „Bilder von uns“ von Thomas Melle. Es beginnt so: „Was habe ich erlebt. Weiß ich nicht. Keine Ahnung. Was habe ich erlebt? Wissen Sie, was Sie erlebt haben? Ich nicht. Ich meine das nicht im erkenntnistheoretischen, philosophischen Sinne. Ich meine das wirklich im lebensweltlichen Sinne, als Grundlage unserer Erfahrung, nein, als unsere Erfahrung.“

Für die Betroffenen ist es oft schwer zu erkennen, was ihnen vor Jahrzehnten wiederfahren ist. Gute Therapeuten helfen ihnen die Verbrechen, die ihnen widerfahren sind und die oft Jahrzehnte verdrängt wurden, Stück für Stück wieder zu erinnern. Den Täter anzuzeigen, erfordert enormen Mut gegen ein mächtiges System. Familie und Freunde sind eine wichtige Stütze, kommen zuweilen auch an ihre Grenzen, so auch bei „Gelobt sei Gott“. Der Zuschauer ist ganz nah dran und wird zum aufmerksamen Zuhörer. Es handelt sich zwar um einen Spielfilm, aber der Regisseur François Ozon braucht sich den Filmstoff gar nicht auszudenken, um sein Drehbuch zu schreiben. Er hat originale Briefe vor Augen und sehr sorgfältig den Betroffen zugehört. So etwas kann man nicht erfinden. Im Film schließen sich immer mehr Betroffene aus verschiedenen sozialen Schichten zusammen. Sie verklagen nicht nur einen Priester – gottseidank – erfolgreich, sondern gehen per Gericht auch gegen ein System vor, dass sich zwar katholische Kirche nennt, aber sich nicht an den eigenen Ansprüchen messen lässt. Das geschieht bis heute weltweit. Und das ist die bittere Wahrheit nicht nur des Filmes, sondern der Kirche, die in jeder Messe betont, das seine Mitglieder Sünder sind. Kann die Kirche selbst wirklich nicht sündigen?

„Gelobt sei Gott“ trifft die Kirche mitten ins Herz. Alle Gläubigen und alle die in der Kirche arbeiten, werden den Film erschüttert verlassen, von denjenigen ganz zu schweigen, die direkt oder indirekt betroffen sind wie etwa die Familien und Freunde der Betroffenen. Im Film schließen sie sich zu einem Verein zusammen, der mehr und mehr Schlagzeilen macht. Die Stärke des Films besteht vor allem darin, dass die unzähligen Folgen eines Missbrauchs deutlich hervortreten. Die Familien halten zusammen. Sie weinen und lachen, weil man das alles ohne schwarzen Humor gar nicht aushalten würde. Sie zweifeln, obwohl sie nicht an sich selbst, sondern an der Kirche verzweifeln könnten und sie kämpfen dennoch tapfer weiter.

Dass die Geistlichen von Lyon aktiv gegen dieses meisterhafte Filmkunstwerk vorgegangen sind und sich gegen die Freiheit der Kunst nicht durchsetzen konnten ist ein Segen: „Gottseidank!“ Der Film wird auch noch als DVD vermutlich lange aktuell bleiben. LEIDER !

Der katholische Alexandre, der mit seinem Glauben und der Kirche ringt und dessen Frau auch eine Missbrauchsgeschichte mit sich herumträgt, gibt seinem Sohn keine Antwort. Er bleibt sie seinen fünf Kindern schuldig. Trotzdem will er die Kirche von Innen erneuern.

Georg Maria Roers SJ