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Philosophische Predigt – Bettina Jarasch

03. September 2023 // 17:30 18:30

„Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich ist meiner nicht würdig!“ – Die Radikalität, die in vielen  Nachfolgeaufrufen Jesu steckt, fasziniert und schockiert zugleich. Was steckt in dieser Radikalität und wie können wir mit solchen Sätzen Jesu umgehen?

Predigerin:

Bettina Jarasch, geboren im November 1968 in Augsburg. Seit mehr als 30 Jahren Wahlberlinerin, ausgebildete Redakteurin, Studium der Philosophie und Politik an der FU Berlin. Verheiratet mit Oliver Jarasch, Eltern zweier Söhne. 2011-2016 Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Berlin, 2016-2021 Mitglied der Abgeordnetenhausfraktion (Sprecherin für Integration und Religionspolitik), Dez. 2021-April 2023 Bürgermeisterin von Berlin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, seit März 2023 Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken.

Es braucht Gemeinschaft, um Glaube zu leben – Interview mit Fr. Lüders

Frau Jarasch, Sie gehörten der GCL (Gemeinschaft Christlichen Lebens) an…

ja, in den 80er Jahren in Augsburg. Da war GCL als Teil der Jugendarbeit am dortigen Maria-Ward -Gymnasium organisiert, wo ich mein Abitur gemacht habe.

Gehören Sie weiterhin der GCL an?

Nein. Ich muss ehrlich gestehen, als hier vor einigen Wochen Hinweise verteilt wurden für Gruppentreffen der GCL, war ich total perplex. GCL war für mich Teil meiner Jugend . Darum bin ich gar nicht darauf gekommen, dass man sich auch als Erwachsener treffen könnte.

Kann man. Weshalb war es Ihnen damals wichtig, der GCL anzugehören?

Ich bin in Augsburg aufgewachsen. Katholisch-Sein war die Regel und nicht die Ausnahme. Das bedeutete, man ist einfach in die Kirche gegangen. Aber wirklich nachzudenken, was der Glaube ist oder auch nicht, das fand eher in der GCL statt, weniger in der Gemeinde, obwohl wir einen sehr aufgeschlossenen Pfarrer hatten.

Ein Kernstück ignatianischen Glaubens, das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit, ist das ein Bestandteil Ihres Lebens geblieben?

Es ist wiedergekommen, es war verschüttet zwischendurch. Weil nach der Schulzeit so viele Eindrücke auf mich einwirkten. Über die Begegnung mit den Jesuiten in Berlin und das Canisius-Kolleg  ist bei mir die ignatianische Spiritualität ein Stück weit zurückgekommen.

Praktizieren Sie sie als Familie gemeinsam?

Nein. Es passiert jetzt ab und zu, dass wir in der Familie unerwartet auf ein Gespräch über Gott und Glauben kommen.  Es ist für mich ein Geschenk, wenn das passiert. Dafür bin ich dankbar. Die Zeit, dass wir Rituale bestimmen, die ist vorbei. Dafür sind unsere Kinder zu groß.

Bei Ignatius heißt es, Gott in allen Dingen zu sehen. Wann geht Ihnen das so?

Vor allem und immer noch in der Begegnung mit Menschen. In einem unerwarteten Blick oder in einem unerwarteten Lächeln, das man sich schenkt, oder in einem Gespräch, das plötzlich in eine Tiefe geht, die ich nicht erwartet habe. Ab und zu auch in der Betrachtung der Natur.

Was bringt Ihnen das in der Politik?

Eine größere, innere Freiheit, weil es in der Politik um große Verantwortung geht, wie wir zusammen leben und wie wir diese Welt gestalten können. Aber es geht zugleich um Macht und um Machtkämpfe, das gehört dazu. Dafür gibt mir mein Glaube Freiheit und Gelassenheit, dass ich mein Leben noch in einer anderen Verantwortung führe. Dass, mein `Warum ich auf dieser Welt lebe?´, nicht mit meinem politischen Wirken endet.

Wolfgang Thierse hat als damaliger Bundestagspräsident einmal gesagt, er könne von seinem Platz erkennen, ob Redner dem Gebetsfrühstück des Bundestags angehören oder nicht. Sie seien nicht so vom Geist beseelt, sich gegenseitig fertig zu machen. Erleben Sie das ähnlich?

Nein, ich finde nicht dass man allen Menschen ansieht, ob sie gläubig sind oder nicht. Es gibt im Abgeordnetenhaus Andachten vor den Sitzungen. Dort gibt es Menschen, die von einer ähnlichen Sehnsucht und Hoffnung getragen sind wie ich selbst, unabhängig von ihrer Partei. Da sind aber auch Menschen, bei denen ich eher Christentümelei als Christentum vermute. Meine Erfahrung in dieser säkularen Stadt ist, dass die meisten Menschen sehr wohl von Hoffnung und Sehnsucht getragen sind, auch von der Liebe zu Menschen, aber dabei nicht unbedingt religiös sind.

In Ihrem Beruf geht es um Macht und Konkurrenzkampf. Wie schaffen Sie es, dennoch mitmenschlich zu bleiben?

Erstens geht es nicht nur um Konkurrenzkampf, sondern auch um die Suche nach dem Gemeinsamen. Zweitens darf man in der Politik mit Menschen arbeiten, die einen ähnlichen Blick auf die Welt haben und etwas für die Menschen um sie herum erreichen wollen.  Drittens hilft der Glaube, zu verstehen, dass sich der Sinn des Lebens nicht darin erschöpft, ob ich erfolgreich bin in der Politik oder nicht. Das macht ein bisschen gelassener im Umgang mit Konflikten. Wer allerdings mit Macht nicht umgehen kann, sollte nicht in die Politik gehen.

Immer mehr Menschen treten aus der Katholischen Kirche aus. Warum bleiben Sie?

Auch ich zweifle. Ich möchte aber die  stärken, die den Kampf für eine andere Kirche führen. Ich sehe, dass er sehr kräftezehrend ist. Ich kenne so viele Frauen, die sich aufreiben an der Katholischen Kirche. Die möchte ich stärken. Ich bleibe in der Kirche nicht wegen der Kleriker, nicht wegen des Papstes, sondern eher trotz ihrer. Es gibt genügend Menschen, die von einer ähnlichen Sehnsucht getragen sind wie ich. Mit denen möchte ich mich austauschen. Diese Menschen brauche ich. Es braucht ein Stück Gemeinschaft, um Glauben zu leben. Ansonsten richte ich meine Energie lieber auf das, was ich politisch bewirken kann.

Die Verbliebenen in der Kirche haben Probleme, sich öffentlich zu bekennen. Wie gelingt es Ihnen, zum Glauben und zur Katholischen Kirche zu stehen?

Das ist tatsächlich etwas, was man üben muss. Es ist so, wir sind die wenigen. Wir sind nicht mehr die vielen. Ich erlebe Menschen, die mit Unverständnis und Verachtung reagieren, wenn sie hören,  dass ich katholisch bin. Damit muss man lernen umzugehen. Wichtig ist es, sich klar zu machen, was der eigentliche Kern des Glaubens ist. Und darüber zu sprechen ohne missionieren zu wollen. Das ist etwas, was Türen öffnet oder sie zumindest zuhören lässt.

Was ist für Sie der Kern des Glaubens?

Liebe. Das kann ich mit einem Wort sagen. Ich bin keine Theologin. Je älter ich werde, umso mehr ist der Kern des Glaubens für mich die Liebe. Liebe ist eine Kraft, die Grenzen überschreitet, die zwischen Menschen aufgerichtet sind. Sie kann etwas bewirken und verändern. Ab und zu spreche ich darüber. Ich tue es wohldosiert, ich möchte als Politikerin nicht mit meinem Sprechen über Glauben Wählerstimmen fangen.

Was gefällt Ihnen an St. Canisius so gut?

Mir gefällt, dass die Messfeiern sehr konzentriert sind auf das Wesentliche mit wenig Brimborium. Es gibt manchmal Predigten, die sind nicht glatt, sie sind widersprüchlich. Das mag ich, das `sich-reiben-können-am-Glauben´, auch am Inhalt der Predigten.

Wie gefällt Ihnen die Architektur von St. Canisius?

Ich mag das schlichte, einfache, helle. Und dass man die Kirche öffnen kann für die Welt draußen.

St. Canisius (Kirche)

Witzlebenstr. 30
14057 Berlin,