Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist…

Liebe Gemeinde,

drei Vorbemerkungen:

  1. Wenn hier von der katholischen Sexualmoral die Rede ist, dann ist das nicht exklusiv gemeint, im Sinne dass dies nur die Moral der katholischen Kirche ist oder sein könnte. Die meisten Menschen sind bekanntlich nicht katholisch und viele sind trotzdem ganz nett.
  2. Das Thema ist riesig! Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die Fragen und Themen, die Sie an das Thema herantragen, im Folgenden kaum oder gar nicht vorkommen. Hier bitte ich um Nachsicht.
  3. Ich bin nicht verheiratet, ich habe keinen Insidereinblick, ich bin Outsider. Aber auch dieser Blick hat seine Berechtigung und Chancen. Man muss nicht jede Erfahrung selber gemacht haben, um hier und da eine hilfreiche Erfahrung beisteuern zu können. Auch ein blindes Huhn findet bekanntlich ab und zu ein Korn.

Wir alle kennen die Vorstellungen, die unsere katholische Kirche in Sachen Sexualmoral hat: Ein Mann und eine Frau, ein Leben lang treu ergeben, mit Kindern und einst Kindeskindern. Kein Sex vor der Ehe und neben der Ehe, außer der Tod scheidet die Partner.
Heute sieben Punkte!

  1. Veränderte Ausgangslage

Dank der modernen Medizin werden wir immer älter. Während früher das „Bis der Tod euch scheidet“ 15 oder 20 Jahre bedeutete, sind es jetzt 50 und mehr Jahre. Während früher ein eher prüdes, streng religiöses Umfeld das Beieinanderbleiben unterstützte, ja einforderte, hat man heute eher den gegenteiligen Eindruck: Wozu noch zusammenbleiben, wenn die Liebe weg ist? Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!

Hinzu kommt: Früher wusste die Frau doch gar nicht wohin nach einer Scheidung! Dank Emanzipation und Sozialstaat ist eine Scheidung heute zwar immer noch belastend, aber bei weitem nicht mehr so skandalös und ruinös wie früher. Niemand verbaut sich damit noch seine Zukunft oder ist in seinem Stadtviertel stigmatisiert!

Als Jesus zu seiner Zeit das Scheideverbot verschärfte, hatte er vor Augen: Es muss verhindert werden, dass die Frau auf der Straße landet und zur Prostitution verdammt ist! Die Männer dürfen es sich nicht zu leicht machen: Die bisherige Frau wegschicken und sich eine neue nehmen – das darf nicht sein! Umgekehrt ging es schließlich auch nicht.

Kann man in einer Gesellschaft, die sich so gewandelt hat, immer noch den alten Standard einfordern? Ich sehe zwei Extremlösungen:

  1. Das biblizistische Extrem: In der Bibel steht es nun mal so, also müssen das alle Christen aller Zeiten so machen, egal wie stark sich die Lebensumstände geändert haben mögen.
  2. Wir sortieren die Bibel mit ihren Beiziehungsratschlägen als veraltet und weltfremd ganz aus und suchen nur noch nach zeitgemäßen Lösungen.
  • Die Qual der Wahl

Es ist eine der ältesten Erkenntnisse der Menschheit – und sie stammt von Gott! Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist…

Dabei handelt es sich nicht um ein Plädoyer für platonische Freundschaften zwischen Mann und Frau, wo man sich gegenseitig Gedichte vorträgt, sondern es geht um eine intime Gemeinschaft mit allem was dazugehört – selbstverständlich auch und besonders: Sex!

Thomas Müller vom FC Bayern, Fußballnationalspieler und Torjäger, machte 2008 Abitur. Ein Jahr später, 2009, heiratete er – mit 20 Jahren! – seine Freundin Lisa. Das gab damals einen Wirbel:

  • Wie können die jetzt schon heiraten?
  • Die können doch noch gar nicht wissen, ob das gut geht?

Müller konterte und antwortete lakonisch: Weil es die Richtige ist. Punkt, fertig! Mit 20! Ich meine: Das hat damals auch deswegen für so einen Wirbel gesorgt, weil es inzwischen so ungewöhnlich ist. Früher wollte man bald heiraten, weil man endlich zusammenziehen und zusammenleben wollte ohne in einer unschicklichen wilden Ehe zu landen – heute leben praktisch alle Paare schon mehrere Jahre zusammen und ihre Eheschließung ist der feierliche Anlass, wo man das, was sich da angebahnt hat und eingeübt wurde, auf den Punkt bringt.

  • Die meisten Paare von heute sind über 30 wenn sie heiraten.
  • Immer mehr heiraten gar nicht, leben so zusammen.
  • Und es gibt jede Menge Menschen, die haben überhaupt keinen Partner. Manche wollen auch keinen (mehr).

Wer zu früh heiratet, verbaut sich damit natürlich Möglichkeiten. Das ist schon richtig. Und manchmal möchte man dem einen oder anderen Paar auch raten, noch etwas zu warten.

Was man aber vergisst: Wer nicht heiratet, verbaut sich ebenfalls Möglichkeiten. Es ist nicht so, dass man sich im ersten Fall alle Möglichkeiten vergibt und im anderen sich alle offen hält. Die Frage ist vielmehr: Welche Möglichkeit ergreife ich und auf welche verzichte ich?

  • Wenn ich meine Unabhängigkeit möglichst lange bewahren will, wird es schwer eine große Familie zu gründen.
  • Werde ich mit 35 oder 40 noch lernen, mein Leben mit anderen zu teilen, wie man das in einer Familie muss?
  • Werden sich nicht bei mir Trampelpfade und Gewohnheiten einschleichen, die ich gar nicht mehr ablegen kann, selbst wenn ich es möchte?

Man kann anscheinend nicht beides haben. Es gibt immer Chancen, es gibt aber auch immer Verzicht, so oder so. Und wer sich alle Möglichkeiten offenhalten will, muss am Ende u.U. feststellen, dass er keine gewählt hat und mit leeren Händen dasteht.

  • Ehe dringend ans Herz gelegt!

Warum ist es nicht gut für den Menschen alleine zu sein? Eine erste Antwort: Weil Gott das nicht will! Weil die Zweisamkeit nicht nur angeraten, sondern moralisch geboten ist! Und zwar nicht nur in unserer Religion.

  • Alle großen Religionen halten ihre Anhänger zu einem solchen, auf Dauer angelegtem Eheleben an, alle zentralen Gebote – auch unserer Religion – sind hier eindeutig – denken wir nur an die Zehn Gebote.
  • Jesus hat diese Regel mit einem Partner ein Leben lang zusammenzubleiben eher verschärft als aufgelockert – denken wir nur an das heutige Evangelium.
  • Kinder haben so klare Bezugspersonen, Eltern und Großeltern.

 Auch im Zeitalter der Singles, WGs und Patchworkfamilien gilt: Die kleinste Lebenszelle ist und bleibt auch heute die Familie. Auch die Lebensformen, die davon abweichen – ich lebe selber in einer solchen Lebensform – gedeihen auf Dauer nur, wenn es feste stabile Familien gibt.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Bibel, Altes und Neues Testament, die religiöse Tradition, auch alle anderen großen Religionen sprechen sich praktisch unisono für die Ehe – damit meine ich eine auf Dauer ausgerichtete Beziehung eines Partners mit einem (!) anderen – aus moralischen und religiösen Gründen aus. In manchen Gegenden Afrikas kämpfen Frauen dafür, dass ein Mann nur eine Frau haben darf – sie versprechen sich allein von diesem Faktum mehr Gerechtigkeit und Emanzipation

  • (Mein längster Punkt): Ehe ist sexy

Gott hat die Sexualität geschaffen. Sie ist gut und Gott will, dass wir sie praktizieren und genießen. Ich glaube sogar sagen zu dürfen: Je öfter und intensiver desto besser. Und desto katholischer! Dies zu leben ist freilich faktisch am realistischsten innerhalb einer stabilen Zweierbeziehung – also einer Ehe – möglich. Dabei gilt es, wie schon angedeutet, zwei Aspekte zu unterscheiden: Quantität und Qualität

a) Je öfter desto besser: Quantität der sexuellen Begegnungen

Ich vermute, dass sich die meisten Menschen, auch junge Menschen, nicht so leicht tun auf andere Menschen zuzugehen. Dennoch: Es mag für viele Teens und Twens leicht vergnüglich sein, jedes Wochenende loszuziehen, um sich einen Partner für die Nacht zu suchen. Ich nehme an, dass dies seine Reize hat, sonst würden es nicht so viele praktizieren oder zumindest ersehnen. Und wenn man einigermaßen passabel aussieht, nicht allzu schüchtern ist, die entsprechenden Etablissements kennt, dann mag das sogar eine ganze Weile funktionieren, Spaß machen.

Spätestens, wenn man die 30er Schwelle überschreitet, dann wird es auch anstrengend.

  • Im Normalfall hat man dann nämlich einen Beruf oder ist an der Uni gefordert.
  • Man muss Geld verdienen,
  • sich um eine Wohnung kümmern, die eigenen Eltern versorgen und vieles andere mehr.

Die Brachialnächte der Jugendzeit schafft man so gar nicht mehr, die Rekonvaleszenzphasen werden deutlich länger. Mit 40 oder 50 wird dies noch schwerer, außer man flüchtet sich in die käufliche Liebe, bei der man aber allenfalls ein Surrogat echter Liebe erhält. Die meisten 40- oder 50-jährigen Singles haben nicht einen Partner nach dem anderen, schwelgen nicht unverbindlich Wochenende für Wochenende in irgendwelchen Betten, wie es die Kondomwerbung vermuten lässt, sondern hocken alleine vor der Glotze, klicken sich allenfalls durch die Pornoseiten im Internet.

Wenn man mit zunehmendem Alter regelmäßig intim sein will, dann geht das faktisch am leichtesten in einer festen Zweierbeziehung, in der man sich kennt und einander vertraut. Alles andere ist – über die o.g. religiösen und moralischen Gründe reden wir jetzt mal gar nicht – aufwändig, anstrengend und, mit zunehmenden Alter, einfach unrealistisch.

Wer ab 40, 50 oder noch älter Sexualität als regelmäßigen Bestandteil seines Lebens haben will, der hat zu einer festen Beziehung – Ehe – keine wirkliche, praktikable, realistische Alternative. Gott hat einfach recht: Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist…

b) Je besser desto öfter: Qualität der sexuellen Begegnungen

Sexualität will und muss – wie alle anderen Dinge – gelernt werden. Intimkompetenz ist uns nicht einfach angeboren! Da muss man reinwachsen. Dazu aber braucht es gegenseitiges Vertrauen, das gilt insbesondere, wenn man die ganze Bandbreite sexueller Möglichkeiten ausschöpfen will. Falls Sie hier Anschauungsunterricht brauchen lesen Sie das Hohelied der Liebe im Alten Testament! Das ist erotische Literatur im besten Sinne! Da knistert und kribbelt es, aber ohne dass der eine oder die andere zum bloßen Sexobjekt degradiert wird. Die Bibel ist hier wirklich nicht prüde und auch nicht jugendfrei.

  • Das Problem ist hier nicht ein spielverderbender Gott.
  • Die Probleme entstehen durch mangelhafte Kommunikation der Partner:
    • Was möchte sie, was will ich?
    • Schaffe ich es ihm meine Wünsche mitzuteilen und
    • bin ich bereit seine / ihre Wünsche zu hören?

Hier geht es um Dinge, die einem nicht leicht über die Lippen kommen und die man auch bei sich selber erst einmal entdecken muss. Darüber hinaus wandeln sich die Bedürfnisse in der Partnerschaft, auch die sexuellen Bedürfnisse natürlich.

Ich erinnere mich an meinen Superior in Rom. Ein spanischer Jesuit, der aber die meiste Zeit in Indien gelebt hatte. Er war jetzt, also damals, um die 70. Ich fragte ihn einmal: „Sag mal, hört DAS nie auf?“ Er meinte: „Non finisce mai! Das hört nie auf! Aber die Art der Sehnsucht ändert sich.“ Er habe jetzt nicht mehr so große körperliche Sehnsüchte wie früher, aber wenn er ein glückliches Paar auf einer Bank im Stadtpark sieht, dann kann es sein, dass ihm der Gedanke kommt: Das hättest Du auch haben können! Und dann hört er Gott leise ins Ohr raunen: Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist…

Natürlich haben auch ältere und alte Menschen das Bedürfnis nach Nähe und Körperlichkeit. Und die Tatsache, dass dies weitgehend tabu ist, die Werbung ewiges Jung-, Schlank- und Faltenfreisein proklamiert, macht die Sache nur noch schwieriger. Besonders im Alter ist Zärtlichkeit faktisch nur in einer Ehe möglich, wo man sich kennt und einander vertraut.

Ich war einmal wegen einer Krankensalbung auf der Intensivstation, wo ein über 90-jähriger Mann von seiner ebenfalls über 90-jährigen Frau gestreichelt, verstorben ist. Mein Gott, wie traurig und wie schön! Die beiden haben es immer gewusst: Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist…

  • Trau dich!

Gott will nicht, dass der Mensch alleine bleibt. Wer diesen Weg dennoch einschlägt, wie auch ich, der sollte sich dies – auch im Gespräch mit guten Freunden – gut überlegen. Der Normalfall – und wie ich meine, Idealfall – ist und bleibt, dass man mit einem festen Partner gemeinsam das Leben durchlebt.

Natürlich gibt es da viele Gefahren und Risiken. Ein paar habe ich angedeutet, aber es gibt auch viele Hilfen! Erfahrene Therapeuten, Psychologen und sogar Theologen, die einem weiterhelfen. Natürlich kann es sich herausstellen: Es war der oder die Falsche! Aber mit 50 oder 60 alleine zuhause zu sitzen, eine Partnervermittlung nach der anderen zu probieren, ist auf die Dauer auch nicht schön. Deshalb: Trauen Sie sich! Natürlich ist es sinnvoll das Leben zu planen. Aber warten Sie nicht bis Sie die Karriereleiter erklommen haben und den akademischen Titel in der Tasche haben, der Rentenbescheid da ist. Bauen Sie Ihr Privatleben nicht um Ihr berufliches Leben herum, sondern machen Sie es umgekehrt. Die Erfahrung und Gott sagen: Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine bleibt.

  • Himmel first, Ehe second!

Martin Luther bezeichnete die Ehe bekanntlich als ein weltlich Ding. D.h. auch die beste Ehe ist nur ein Vorgeschmack, eine Kostprobe dessen, was Gott für alle Menschen, Singles und Verheiratete, Geschiedene und Verbliebene vorbereitet hat.

Eine Ehe, die sich unter einen Baldachin des Glaubens gestellt weiß – wie dies in jüdischen Hochzeiten zum Ausdruck kommt – ist entlastet. Der andere muss jetzt nicht mein Ein und Alles sein, was kein Mensch leisten kann und jeden überfordert. Ich habe eine Instanz, der ich meine Beziehung, gerade auch mit ihren Schwierigkeiten, anvertrauen kann. Gerade weil die Ehe nicht alles sein muss, kann ich sie in ihrer Tiefe ausschöpfen und Krisen in Wachstumschancen veredeln.

  • Ehe als Einladung

Eine Ehe ist eine Einladung, keine Vorschrift! Es ist eine Mutmachung, manchmal auch eine Zumutung, aber keine Drohung! Sie ist ein Vorschlag, ein Weg, ein Rat, der keine Exklusivität beansprucht. Die katholische Sexualmoral will nicht sagen: So und nicht anders müsst Ihr’s und dürft Ihr’s machen, sondern: Wir haben das Leben mit all seinen Größen und Grenzen – und da gehört die Sexualität natürlich dazu! – angeschaut, und meinen diesen Weg Euch ans Herz legen zu können! Es ist kein Verdikt zu anderen Wegen. Und es ist schon gar kein Urteil über die, die diesen Weg versucht haben, es sich aber – aus welchem Grund auch immer – nicht ergeben hat, diesen Weg ganz zu Ende zu gehen.

Vor Jahren gab es einmal eine Werbung aus der Pharmabranche – vielleicht erinnern Sie sich. Ein Mensch aus dem damaligen Alltag, etwa ein Tankwart an der Zapfsäule, kommt ins Bild und sagt: „Kopfschmerzen? Da habe ich was für Sie…“ Dann kommt die sonore Stimme aus dem Off: Wir wissen nicht, was dieser freundliche Tankwart empfiehlt – Wir empfehlen bei Kopfschmerzen: TOGAL

Liebesschmerzen? Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Zweisamkeit? Wir wissen nicht, was dieser oder jener Ratgeber, diese oder jene Partnervermittlung, Religion oder Weltanschauung empfiehlt. Wir empfehlen:

N.N., ich nehme dich an als meine Frau / meinen Mann und verspreche dir die Treue, in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe. Trag diesen Ring als Zeichen meiner Liebe und Treue. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

P. Manfred Hösl SJ