Die Frau an der Seite Jesu – Nachlese

Ein Abend mit Christoph Wrembek SJ

P. Christoph Wrembek SJ ist Kind der Gemeinde St. Canisius. Es handelt sich also bei diesem Abend auch um ein Coming Home. Und das merkte man auch, denn an der einen oder anderen Stelle war die Stimme des Zelebranten und Referenten belegt.

Dem Mittwochabendgottesdienst stand er selbst vor. Und schon da blitzte sein Markenzeichen auf: Stets ein bisschen gegen den Strom zu schwimmen. Etwa durch das Abändern der üblichen Responsorien (statt: … und mit deinem Geiste sollte die Gemeinde antworten: Er ist in unserer Mitte) und anderen kleinen Veränderungen des gewohnten Messablaufs.

Um 19:30 Uhr war der Gemeindesaal sehr gut gefüllt. Wow! Frau Nicole Marischka, Regisseurin und Schauspielerin, die sich selbst als nicht gläubig bezeichnet, moderierte den Abend. Auch sie findet die Person Maria Magdalena spannend. Ihre erste Frage: Warum dieses Buch?

Christoph Wrembek (CW) kann auf eine inzwischen stattliche Publikationsliste zurückblicken. Sein Buch über Judas Iskariot ist ein Bestseller der Theologie. Er hat auch ein „wissenschaftliches“, d.h. exegetisches Buch über Maria Magdalena (Die sog. Magdalenerin) verfasst, dem er jetzt einen dreibändigen Roman über die Magdalenerin zur Seite stellt. Die Veröffentlichung des zweiten Bandes (Die Frau an der Seite Jesu) war der formale Anlass für den Abend. Der dritte und letzte Band (Apostolin zwischen Jerusalem und Rom) wird ebenfalls bald erscheinen. Insgesamt hat CW 13 Jahre an seiner Trilogie geschrieben.

Warum dieses Buch also? CW antwortet: Zum einen, weil die MAGDALENERIN eine faszinierende Frau und er regelrecht in sie verliebt ist. Zudem ist das Thema Frau in der Kirche mehr als virulent. Dabei sei die MAGDALENERIN keine Frau, die sich ins damals herrschende System einspannen ließ, sondern ihre Autorität neben den offiziellen Machtstrukturen etablierte. Ein gangbarer Weg auch heute für Frauen in der Kirche?

CW sieht die MAGDALENERIN nicht nur an den Stellen vor sich, an denen sie explizit als Maria Magdalena genannt ist, sondern auch in Lk 7 (Sünderin), Lk 10, Joh 11 (die MAGDALENERIN als Schwester von Martha und Lazarus). Mehr Stellen bedeutet natürlich auch mehr Material, um ein Persönlichkeitsbild skizzieren zu können.

Ein eigenes Beispiel: Es ist im NT viel von „Johannessen“ die Rede. Die Minimalisten sehen hinter dem Evangelium, dem Schreiber(n?) der drei Briefe und der Offenbarung ein und denselben Autor den sog. Lieblingsjünger und Evangelisten Johannes, Sohn des Zebedäus und Bruder des Jakobus. Maximalisten sehen hinter jeder einzelnen Schrift einen anderen Johannes. Viele nehmen eine Zwischenposition ein, schreiben beispielsweise 2 + 3 Johannesbrief demselben Autor zu.

CW tendiert nach diesem Modell klar zu den Minimalisten: Die Sünderin, Schwester des Lazarus und die MAGDALENERIN sind ein und dieselbe Person. Bei dieser wichtigen Vorentscheidung wird ihm die Mehrzahl der von CW selbst so genannten Fachexegeten nicht folgen.

Was war die MAGDALENERIN für eine Frau? CW schreibt gegen ihr traditionelles Bild einer „Hure“ an. Da sie mit der Sünderin in Lk 7 identisch ist, muss sie sehr reich gewesen sein, denn das kostbare dort erwähnte Nardenöl hat einen Wert von umgerechnet 18 000.- EURO und dürfte teuer von den Südhängen des Himalaya importiert worden sein, so CW. Von wegen „Hure“! CW sieht in der MAGDALENERIN kein Mädchen vom Strich, auch keine normale Prostituierte oder auch nur eine Nobelhetäre, sondern eine reiche Millionärin, die mit einem römischen Legionär verheiratet war und deren Sohn niemand anders sei als Johannes Markus, der Verfasser des Markusevangeliums. Ein weiterer Beleg für die von CW vertretene Minimalistentheorie oben.

CW führt eine Dauerfehde gegen die „Fachexegeten“. Dabei schwingt m.E. immer mit, diese seien engen Konventionen unterworfen und müssten ja so denken, wie sie denken, sonst würden sie die Lehrstühle gar nicht bekommen, auf denen sie sitzen. Diesem bornierten Fachwissen setzt CW seine Freiheit als Autor, der keinen Konventionen unterliegt und den guten Menschenverstand entgegen.

Beispiel: Welcher Berg war der Berg der Verklärung? Die Tradition nennt den Tabor, der freilich – so berechnet CW – nicht weit genug von Cäsarea Philippi entfernt ist, der vorhergehenden Station Jesu. Man braucht von Cäsarea zum Tabor allenfalls drei Tage, nicht die in Mk 9,2 genannten sechs Tage. CW löst das Problem pragmatisch: Er nimmt einen Zirkel, bei dem er die doppelte Entfernung – also sechs statt drei Tagesreisen einstellt, sticht in Cäsarea Philippi ein und der Kreis schneidet genau den Moseberg Nebo. Dieser hat auch die passendere Größe als der letztlich viel zu kleine Tabor. Und so stehen sich der dogmatisch festgelegte Tabor und der (populär-) wissenschaftlich per Zirkel ermittelte Nebo gegenüber. Welcher Berg verdient mehr das Vertrauen des neutralen Lesers?

CW spielt bewusst mit Realität und Roman. Die harten populärwissenschaftlichen Fakten, die er in seiner „sogenannten Magdalenerin“ streng exegetisch gewahrt sieht, ergänzt er um passende Fiktionen. Sein Credo: Die Fakten lassen Spielräume, die der Roman legitim fantasievoll füllt. Dabei wird eine(!) mögliche(!) Sicht im weiteren Verlauf als Tatsache verstanden, so dass daraus eine weitere Theorie angefügt wird, die im Folgenden wieder als Fakt gesehen wird, usw. Bei Einwänden kann sich CW mühelos auf das Genus Roman (Fiktion) zurückziehen. Der normale Zuhörer freilich nimmt mögliche Fiktion sehr schnell als bare historische Münze. Das Spiel von Fakt (Was war?) und Fiktion (Wie könnte es gewesen sein?), Roman und Realität beherrscht CW perfekt. Eine gute Rhetorik tut ihr übriges. Eine echte Diskussion (Wie war es wirklich?) ist freilich müßig. Die hätte man ein paar Weichenstellungen früher starten müssen.

So kommt bei CW eine MAGDALENERIN heraus, die eine Mischung von Theresa von Avila und Claudia Cardinale (sic!) ist. Und für einen Roman ist das auch legitim und sehr anschaulich. Hier schimmert der Jesuit und die „Anwendung der Sinne“ durch (vgl. Exerzitienbuch des Ignatius v. Loyola 65-71; 121-126; 133; 134; 208). CW, der auch eine Zeit lang in Hollywood Filmstudien gemacht hat, sieht in seinem MAGDALENERIN-Bild einen Sergio Leone am Set und hört Enrico Morricones Musik mit. Es entsteht vor (s)einer inneren Kamera eine sinnliche Frau mit spirituellem Tiefgang, die fesselt und in Bann zieht. So dürfen, ja müssen Romane und Filme sein!

Die andere Frage ist: War die MAGDALENERIN so? Oder anders? Und wenn ja: wie? Durch den schmalen Grat von Fakt und Fiktion ist CW immer auf der sicheren Seite. Es ist ein Hase- und Igelspiel. Fiktionen gerinnen leicht zu Fakten und bei Gegenwind oder Einspruch war es eben doch nur ausschmückende Fiktion. Wer dem etwas entgegensetzen möchte, muss seinerseits eine Konstruktion wagen: Die MAGDALENERIN als Mischung zwischen Marilyn Monroe und Hildegard von Bingen? Wer will je belegen, dass es nicht so gewesen sein könnte? Wer darf und kann dem Romanschreiber in seinen Bildern korrigieren?

CW ist ein Freund steiler Thesen und bunter Bilder. Er stellt uns eine MAGDALENERIN vor, die fasziniert und in Bann zieht. Da kann keine nüchterne oder gar vorsichtige Exegese mithalten und will es auch nicht. Wenn Dan Brown seine Romane schreiben kann, dann auch CW. Aber will CW nur einen Roman schreiben? Oder doch mehr? Was? Ein spannender Abend!

Manfred Hösl SJ