Austritte und Eintritte

Am Samstag wurden wieder drei tolle Kinder in Sankt Canisius getauft: Micha, David und Rosa. Sie und ihre Eltern loten die ganze Weite des Begriffs „Katholisch“ aus: Eine Familie hat polnische Wurzeln und hat auch Verwandtschaft von dort mitgebracht. Ein Kind hat väterlicherseits persische Verwandte, die keiner Religion angehören, während die Mama deutsch und katholisch ist. Ein Kind schließlich hat – wie man früher sagte – gut katholische Eltern und eine fromme Verwandtschaft.

Manchmal ist es für den nichtkatholischen Elternteil, besonders wenn es sich um Muslime handelt, nicht ganz leicht, in eine Taufe einzuwilligen.

Alle Eltern und Paten eint in der Stunde der Taufe der innigste Wunsch, alles Beste für ihr Kind zu wollen. Aber auch dann braucht es einen Schutz, den die Eltern (inkl. Großeltern, Geschwister, Paten und Verwandte) beim besten Willen nicht geben können. Viele glauben, dass es diese Hilfe in der Kirche gibt und diese Hilfe einen Namen hat: Gott. Der eine oder die andere ist sich da 100% sicher, bei manchen schwingen Zweifel mit, wieder manche müssen da ganz passen… Aber eine Sehnsucht nach so einer Hilfe haben eigentlich alle.

Alle die heute (noch) ihr Kind taufen lassen legen damit eo ipso ein Bekenntnis ab. Man muss heute die Kinder nicht mehr christlich taufen. Im Gegenteil: Die Zahl derer, die einer Taufe fremd oder gar ablehnend gegenüberstehen, steigt. Gläubige Eltern kommen schnell in einen Rechtfertigungsdruck. Während sich noch vor wenigen Jahrzehnten die Atheisten und Agnostiker rechtfertigen mussten, ist es jetzt eher umgekehrt. Eine Mittelposition scheint sich anzubieten: Das soll mein Kind mal selbst entscheiden… Nicht alle freilich halten diesen Entschluss dann auch durch: Wenn es um den Kita-Platz oder den Platz in der Schule geht sieht das mit der Entscheidungsfreiheit des Kindes dann schon bald anders aus…

So viele Austritte derzeit im Pfarrbüro auflaufen kann man das ganze Jahr nicht taufen. Grund ist freilich auch ein Mitarbeiterwechsel am Standesamt: derzeit werden Altfälle abgearbeitet. Dennoch! Die Zahl der Austritte übersteigt die der Taufen um ein Vielfaches. Ich schreibe allen Ausgetretenen einen persönlichen Brief, soweit dies aufgrund der knappen Info möglich ist. Keinen Drohbrief, wie ihn die Deutsche Bischofskonferenz vor einigen Jahren, angemahnt hat, sondern eine Einladung zu einem Gesprächsangebot im Pfarrbüro, zuhause oder in einem Cafe. Etwa 10% der Angeschriebenen reagieren und es kommt zum Gespräch. Die dann geäußerten Gründe für den Austritt sind unterschiedlich, ja widersprüchlich: Die Kirche ist zu politisch und sollte sich auf ihr Kerngeschäft beschränken. Andere meinen freilich: anstatt sich um einen Himmel in Wolkenkuckucksheim am Sankt Nimmerleinstag zu kümmern, sollte die Kirche den Menschen in ihren konkreten Nöten helfen. AFD-Wählern ist die Kirche zu grün und kommunistisch, andere finden die Aussagen zu Sterbehilfe oder Abtreibung nicht mehr zeitgemäß. Bei den meisten ist es allerdings so, dass sich die Entfremdung schon seit Langem angebahnt hat und der äußere Schritt zum Austritt nur sichtbar macht, was innerlich schon vor langer Zeit geschehen ist. Ein negativer TV-Bericht, die Missbrauchskrise oder ein falsch reagierender Kleriker sind dann nur noch Auslöser, nicht aber Grund für den Austritt.

Während man früher – das ist freilich noch gar nicht so lange her! – dabei war, weil man dabei ist, ist es heute umgekehrt: Warum dabei sein, wenn man eh nicht dabei ist?

Mit Drohungen und dem Wink mit dem Zeigefinger ist dem Trend nicht beizukommen. Im Gegenteil: Hier verliert man eher Schäflein, weil die Standesämter und freie Redner in Sachen romantische Zeremonien längst nachgerüstet haben. Um schön heiraten oder bestattet werden zu können, muss man nicht mehr in die Kirche gehen, der erste Schultag hat die Erstkommunion als Kinderfest abgelöst, der Therapeut den Beichtvater, usw.

Positiv dabei ist: Die, die heute kommen, meinen es ernst. Die Zeiten, in denen man die wahren Motive in einer Art Glaubens-TÜV prüfen muss, um das Sakrament nur ja keinem Unwürdigen zu spenden, sind vorbei. Jeder, der heute Sakramente empfangen will oder zum Gottesdienst geht, hat sich das überlegt und muss dies vor seinen Freunden auch oft rechtfertigen. Das hat freilich auch Chancen: Die Kirche wird (wieder) zu einer Kirche von Überzeugten! Und ich meine das kann man in den Gottesdiensten auch spüren. Zumindest in Sankt Canisius…

P. Manfred Hösl SJ