Ein Abend mit Pater Mykhailo Stanchyshyn SJ aus der Ukraine

Der Jesuit aus Lwiw (Lemberg) erzählt von seinem Land und den Sorgen und Nöten der Menschen dort.

Es gibt viele Zeitungs- und TV-Berichte über die Ukraine. Aber wenn jemand persönlich von dort berichtet, ist das noch einmal etwas anderes. So in der Abendmesse vom 26. Mai 2024 in St. Canisius. P. Mykhailo Stanchyshyn SJ predigte im Gottesdienst, den er mit P. Christian Brauninger SJ, dem Leiter von „Jesuiten weltweit“ und P. Claus Pfuff SJ, dem scheidenden Leiter des JRS zusammen zelebrierte.

Er nahm auf das im Evangelium angesprochene Bergmotiv Bezug: Der auferstandene Jesus führt die Jünger auf einen Berg und gibt ihnen dann den Missionsbefehl in alle Welt hinauszugehen und alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen, seine Werte anzubieten, in seine Nachfolge zu treten.

P. Mykhailo Stanchyshyn SJ ist in seinem Heimatland v.a. in der Exerzitienarbeit tätig. Besonders kümmert er sich um Mütter mit vielen Kindern. Er hat viele zu kleinen Gruppen vernetzt. Er möchte den grausamen Bildern des Krieges andere, bessere Bilder in den Seelen der Menschen dort gegenüberstellen: Bilder der Hoffnung und der Zukunft.

Wie nahe der Krieg plötzlich kommen kann, musste er einmal mehr an diesem Wochenende beim Angriff auf einen Supermarkt in Charkiw feststellen, wo eine 47-jährige Frau mit ihrer 12-jährigen Tochter zu Tode kamen. Noch Anfang Mai hatte er sie am byzantinisch-östlichen Osterfest umarmt! Der Ehemann ist schwer verletzt und kämpft auf der Intensivstation um sein Leben. Der kleine Sohn weiß nicht, ob er künftig Waise oder Vollwaise sein wird. Nur eines von vielen Schicksalen, die den Pater sichtlich bewegen.

Gleich im Anschluss an die Messer zeigte P. Mykhailo per Beamer in der Kirche Bilder aus seiner Heimat. Man sieht verunsicherte und doch hoffnungsvolle Menschen, die trotz des Leids offenbar nicht klein beigeben wollen. Daneben gibt es Bilder von zerbombten Häusern oder ausgebrannten Autos. So viel sinnlose Zerstörung!

Auch P. Mykhailo Stanchyshyn SJ sah dem Tod in die Augen. Ein direkt vor seinem Fenster geparkter Bully hatte die Streumunition abgefangen.

Der Jesuit macht aus seiner Verbundenheit zu seinem Heimatland keinen Hehl, wenn er ein ukrainisch-traditionelles Klerikerhemd trägt, sowie die blau-gelbe Nationalflagge wie einen Schal um sich gelegt hat. Deutsche der Nachkriegsgeneration kann ein solcher Nationalismus irritieren. Gleichzeitig muss ich an die Schreihälse, mit ihren „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“-Rufen in einer Sylter Partylocation denken.

P. Mykhailo Stanchyshyn SJ geht auch auf das kritisch rezipierte Papstzitat mit der „weißen Flagge“ ein. Man darf dem Papst nicht Unrecht tun und muss den Kontext des Zitats wohl beachten, aber eine Kapitulation kommt für P. Mykhailo nicht in Frage. Hier spricht er wohl die Überzeugung vieler Ukrainer aus. „Man muss den Aggressoren widerstehen und sich für das Gute einsetzen – so lautet das Gebot der Stunde!“ P. Stanchyshyn SJ hat einen Brief an Papst Franziskus geschrieben, wo er seine Gründe, warum er das „Weiße Flagge“-Zitat für verunglückt hält, erläutert. Was die Menschen in der Ukraine – neben unserem Gebet – jetzt brauchen, ist internationale Solidarität und ein starkes, einiges Europa. Den Zuhörerinnen und Zuhörern legt er zudem ans Herz, vor den Aggressoren keine Angst zu haben und der russischen Propaganda nicht auf den Leim zu gehen.

Zu Beginn und gegen Ende des knapp einstündigen Vortrags von P. Stanchyshyn SJ spielte Anna Hromadschuk auf der Gitarre. Mit ihrem schönen Gitarrenspiel ist sie eine der vielen jungen ukrainischen Künstlerinnen und Künstler aus einem gebeutelten Land, die bei uns Zuflucht gefunden haben.

Bei einem Glas Wein direkt vor der Kirchentür klang ein nachdenklicher Abend aus. P. Mykhailo Stanchyshyn SJ stand für Rückfragen zur Verfügung. Aber vielleicht ist es für – Gott sei Dank! – kriegsunerfahrene Deutsche gar nicht so leicht, kluge Fragen zu finden, wenn man sich die Lage und das Leid der Menschen vor Ort kaum vorstellen kann. Die Frage oder gar Belehrung „Was würde ich bzw. würden wir an deren Stelle tun?“ verbietet sich angesichts der greifbaren Betroffenheit. Weiter dürfte da allerdings die Frage führen „Was würde Jesus tun?“ Mir fallen da unterschiedliche, auch nicht immer harmonisierbare Zitate ein…

Herzlichen Dank an den Jesuitenflüchtlingsdienst und Christian Brauniger von Jesuiten weltweit für die Vorbereitung und Durchführung dieses nicht leicht konsumierbaren Abends!

P. Manfred Hösl SJ