Treffen der SJ-Cityseelsorger in Nürnberg

Turnusgemäß trafen sich vom 17. bis 19. Februar 2020 die Pfarrer und Cityseelsorger der zentraleuropäischen Provinz zum gemeinsamen Austausch. Tagungsort war diesmal Nürnberg – P. Ansgar Wiederhaus SJ und Pastoralreferent Jürgen Kaufmann von der Offenen Kirche St. Klara (Link: https://www.st-klara-nuernberg.de/) hatten das Treffen bestens vorbereitet.

Eingeladen und gekommen waren die Pfarrer und Cityseelsorger aus

  • Stockholm – St:Eugenia (P. Dominik Terstriep SJ)
  • Hamburg – St. Ansgar / Kleiner Michel (P. Philipp Görtz SJ)
  • Göttingen – St. Michael (P. Ludger Joos SJ (Göttingen)
  • Frankfurt – St. Ignatius (P. Bernd Günther SJ und Fabian Loudwin SJ)
  • Berlin – St. Canisius (P. Manfred Hösl SJ)
  • München – St. Michael (P. Andreas Leblang SJ)
  • Linz – Alter Dom (P. Fritz Sperringer SJ)
  • Wien – St. Rupprecht (P. Alois Riedlsberger SJ)
  • sowie P. Hansruedi Kleiber SJ von der Jesuitenkirche in Luzern in der Schweiz.

Wie immer ließen sich die Teilnehmer für die Berichte aus den einzelnen Standorten viel Zeit. Jeder Ort hat seine Möglichkeiten, aber auch seine Baustellen. Während die einen noch relativ viel Geld zur Verfügung haben, müssen andere mit wenig auskommen. Manche haben vergleichsweise viel Personal, andere leben weitgehend von ehrenamtlichem Engagement. Einige Standorte haben einen sozialen Schwerpunkt, andere feiern klassische Liturgien mit Orchester, wieder andere versuchen, mit avantgardistischen Veranstaltungsformaten neue Zielgruppen zu erreichen.

Grundsätzlich ist an allen Orten zu spüren, dass sich die Lage drastisch ändert und lange Bestehendes in dieser Form nicht mehr zu halten sein wird. Schon allein wegen der alarmierenden Nachwuchssituation des Ordens bzw. der Kirche überhaupt. Das machte auch der Noch-Provinzial der österreichischen Provinz, Bernhard Bürgler SJ, am Ende der drei Tage deutlich. Man muss kein Prophet sein – ein nüchterner Blick auf die Zahlen genügt, um zu wissen: Wir können beim besten Willen nicht mehr alles „halten“! Die Frage ist nur: Wo ziehen wir uns zurück und wo bleiben wir präsent?

Ein Höhepunkt des dreitägigen Treffens war das Statement der Regensburger Pastoraltheologieprofessorin Dr. Ute Leimgruber. Sie hatte die Homepages der SJ-Orte sorgfältig studiert und versuchte eine Schneise in den „urbanen Dschungel“ zu schlagen: Was heißt Citypastoral? Welche Möglichkeiten und Grenzen gibt es? Die Kirche befindet sich mit ihren Angeboten in einer Marktsituation. Es gilt, räumlich und zeitlich präsent zu sein und eine kluge, unaufdringliche, aber effektive Missionsstrategie zu entwickeln. Es gilt „dauerhaft Gelegenheit zu bieten“, so die Regensburger Dozentin. Seelsorge in der Großstadt bedeutet, verlässlich da zu sein, wohl wissend, dass immer weniger regelmäßig die eigenen Angebote wahrnehmen. Aber wenn Menschen kommen, müssen sie Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner finden.

Das vorherrschende pfarrliche Territorialsystem greift zwar noch, erreicht aber immer weniger Gläubige oder Suchende. Auch im 21. Jahrhundert sind wir weiterhin vom tridentinischen Konzil geprägt: alle Katholiken gehören zu einer Territorialpfarrei und müssen „versorgt“ werden. „Versucht nicht, die untergehenden Pfarreien zu retten“, war dagegen zu hören.

Stattdessen bietet sich eine Pastoral des sogenannten „third place“ an: Damit Menschen in den Städten gut leben können, brauchen sie – neben der eigenen Wohnung und dem Arbeitsplatz – einen „dritten Ort“. Diesen Platz können die Citykirchen mit ihren Angeboten bieten. Diesen Platz können die Citykirchen mit ihren Angeboten bieten. Diese stehen allerdings im Wettbewerb mit anderen Anbietern (z.B. Bibliotheken, Bildungs- oder Sporteinrichtungen, usw.) und müssen sich darin bewähren. Dabei bieten sich den Orden Chancen, die eine diözesane Pastoral, der der pastorale Grunddienst oft schon alles an finanziellen und personellen Mitteln abverlangt, so nicht (mehr) hat. Die für viele enttäuschenden Ergebnisse der Amazonassynode lassen vermuten, dass auf absehbare Zeit keine „heilige Kuh“ im Blick auf die Themen des Synodalen Wegs geschlachtet wird. Weder ist mit einer Lockerung des Pflichtzölibats noch mit der Weihe von Frauen zu rechnen. Reformbemühungen im Vorfeld dieser langjährigen Forderungen finden meist kein Gehör mehr, frustrieren die letzten Getreuen, von der enttäuschten Grundstimmung gar nicht zu reden.

Wie eine Citypastoral in einer modernen Großstadt aussehen kann, zeigten P. Ansgar Wiedenhaus SJ und Pastoralreferent Jürgen Kaufmann am Beispiel von St. Klara in Nürnberg. Es gibt in Nürnberg schon viele katholische Gemeinden – eine weitere braucht es wirklich nicht! Stattdessen versuchen die beiden, zusätzliche Angebote zu machen, die es in der Standardgemeinde so nicht gibt: Feuerkünstler beleuchten das Pfingstfest, ein literarischer Karfreitag oder auf Seilen tanzende Künstler mitten im Kirchenschiff! Es gibt Angebote für Trauernde, Gedenkgottesdienste für verstorbene Drogenabhängige und deren Hinterbliebene, alternative Heiligenfeiern (Saint Patricks- und Saint Andrews-Day, Valentinstag, Ignatius, Nikolaus…), Blues- und Soul für Bethlehem statt klassischer Christmette, u.v.a.m. (Link: https://www.st-klara-nuernberg.de/seite/galerie#80). Mit diesen unterschiedlichen Formaten erreicht man Menschen, die sonst nie eine Kirche betreten, so die beiden Theologen aus Nürnberg. Selbstverständlich gibt es aber auch das normale Standardprogramm wie Messen und Beichtzeiten!

Wie soll sich die Citypastoral der Jesuiten künftig ausgestalten? Hier waren sich die Teilnehmer– natürlich, möchte man sagen – nicht einig. Während Ludger Joos SJ aus Göttingen auf die Befähigung und Ausbildung von Getauften und Gefirmten für Gottesdienste in einer nachpriesterlichen Zeit setzt, spricht sich Andreas Leblang SJ aus München schlicht für die Messe aus. „Das ist und bleibt die Mitte unseres Handelns!“, so der Leiter der Glaubensorientierung (in Berlin: KGI) und Cityseelsorger in München. Auch in der Frage, was effizient ist und was nicht, gingen die Meinungen auseinander: Kann man das Engagement in einer Schule gegen das eines Pfarrers ausspielen und umgekehrt? Soll man große, personalintensive Kollegien oder Hochschulen opfern, um neue Projekte angehen zu können oder mahnt hier das Beispiel „Holland“? Dort ist mit den Institutionen praktisch der ganze Orden aus der Öffentlichkeit verschwunden! Womit leisten wir für die Ortskirche den „je größeren Dienst“? Wo gibt es geistliche Kristallisationspunkte? Diese Fragen konnten und können wohl nie ganz geklärt werden. Es bleibt vieles offen. Klar ist: Cityseelsorger und Cityseelsorgerinnen sind wie kaum jemand anderes am Puls der Zeit. Ein sehr spannendes Arbeitsfeld!

Und Sankt Canisius in Berlin? Man muss hier nüchtern konstatieren, dass das Erzbistum Berlin bei weitem nicht die finanziellen und personellen Möglichkeiten hat, wie die Bistümer in den (früher) volkskirchlichen Diözesen Köln, München, Wien oder Luzern. Das weiß aber auch der Jesuitenorden. Die Jesuiten gehen nicht einfach nur dorthin, wo das meiste Geld und die besten Stellen zu haben sind! Wohl aber dahin, wo die größere Offenheit und Bereitschaft anzutreffen ist, Neues zu wagen und auszuprobieren.

Der Jesuitenorden muss auch leben können und die immer größer werdende Zahl älterer Mitbrüder versorgen. Hinzu kommt, dass die Nummer eins der Jesuiten in Berlin sicher das Canisiuskolleg ist. Deshalb ist es so wichtig, ein eigenständiges Profil für die Arbeit in Sankt Canisius zu entwickeln, zu zeigen, was wir hier – und zwar nur wir und nur hier – pastoral einbringen können. In der Wirtschaft spricht man vom USP: Unique Selling Point. Bestandszusagen sind heute allenfalls mittelfristig haltbar, weil niemand sagen kann, wie die Kirche schon in fünf Jahren aussehen wird. Das Beispiel der Franziskaner in St. Ludwig ist alarmierend: eine der florierendsten Gemeinden Berlins wird vom Franziskanerorden aufgegeben, einfach weil sie keine Ordensangehörigen haben, die den Standort aufrechterhalten könnten. Und die Franziskaner wie auch die Jesuiten haben viele „Ludwigs“, die allesamt gut Arbeit machen und die es alle verdient hätten, eine Zukunft zu haben!

Uns als Gemeinschaft in Sankt Canisius dieser Herausforderung mit knappen finanziellen und personellen Mitteln zu stellen, bedeutet eine große gemeinsame Kraftanstrengung. Es gilt, unsere Kräfte klug einzuteilen. Junge Menschen und jene, die Sankt Canisius noch gar nicht entdeckt haben, die zusammen aber die ganze Bandbreite von Sankt Canisius abbilden, sollen entsprechenden Gestaltungsspielraum bekommen, um dann auch Verantwortung zu übernehmen! Wir müssen subsidiärer und dezentraler werden, dürfen gut laufende klassische Formate nicht fallenlassen und müssen zugleich neue Formate ausprobieren und wagen. Es bleibt spannend in der Cityseelsorge, auch und besonders an Sankt Canisius!

P. Manfred Hösl SJ